Steinmeier: Sozialstaat muss gesundheitliche Ungleichheit angehen

Steinmeier: Sozialstaat muss gesundheitliche Ungleichheit angehen
Der enge Zusammenhang von Armut und Gesundheit ist alljährlich Thema eines Kongresses von Praktikern, Wissenschaft und Politik. In diesem Jahr betonte Bundespräsident Steinmeier die Bedeutung sozialer Gerechtigkeit für die Demokratie.

Berlin (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat gesundheitliche Ungleichheit als Herausforderung für den Sozialstaat bezeichnet. Er forderte am Dienstag auf dem Kongress „Armut und Gesundheit“ in Berlin, dass auch in Zeiten, in denen angesichts von Krisen und Krieg die politischen Prioritäten neu geordnet werden, der Sozialstaat leistungsfähig bleiben müsse: „Sozialpolitik ist Demokratiepolitik“, betonte Steinmeier. Nur ein Gesellschaftsmodell, das die Stimme der Ärmsten nicht überhöre, werde dauerhaft auf Akzeptanz stoßen: „Nur als soziales Land bleibt unsere Demokratie stabil“, sagte der Bundespräsident.

Steinmeier erinnerte an den engen und vielfach nachgewiesenen Zusammenhang von sozialem Status und Gesundheit und Lebenschancen. Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung habe, habe eine geringere Lebenserwartung: bis zu vier Jahre weniger bei Frauen, bis zu acht Jahre weniger bei Männern. Es gehe indes nicht nur um die gesundheitlichen Folgen von wenig Geld, betonte Steinmeier. „In Wahrheit reden wir von einer vielschichtigen Unterversorgung.“ Dies betreffe das Einkommen, Wohnen, Bildung, Arbeitsbedingungen und die soziale Infrastruktur am Wohnort. „Bei den Armen in unserer Gesellschaft kommt vieles davon gleichzeitig zusammen“, sagte Steinmeier.

Er appellierte, insbesondere Kinder aus wirtschaftlich schwachen Verhältnissen zu unterstützen. Die Weichen für den späteren sozialen und gesundheitlichen Status würden sehr früh gestellt, mahnte Steinmeier. Der Bundespräsident dankte allen Menschen, die sich in der Wissenschaft, dem Sozialwesen oder vor Ort haupt- oder ehrenamtlich in der Gesundheitsversorgung für Benachteiligte engagieren.

Der Kongress-Mitbegründer und Mainzer Armenarzt Georg Trabert sagte, „Armut macht krank“. In einem reichen Land wie Deutschland sei aber das Geld vorhanden, dies zu verhindern. Er stellte konkrete Forderungen, etwa dass Brillen wieder Kassenleistung werden. Trabert setzte sich für eine Arbeitsgruppe zu Armut und Gesundheit beim Bundesgesundheitsministerium ein sowie für eine Erhöhung des Bürgergeldes um 200 Euro im Monat. Von den Sätzen könnten Eltern kein Kind gesund ernähren.

Der Vorstandsvorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes, Rolf Rosenbrock, sagte, Armutsbekämpfung sei die beste Gesundheitsvorsorge. Er forderte „die zügige Einführung einer auskömmlichen Kindergrundsicherung“. Sie würde die weitere Spreizung der Einkommens- und Gesundheits-Ungleichheit zumindest verlangsamen, betonte Rosenbrock. Die Ampel-Koalition ist derzeit uneins, ob mit der Einführung einer Kindergrundsicherung zur Bündelung der Familienleistungen auch eine Erhöhung der Leistungen verbunden sein soll.

Der Kongress „Armut und Gesundheit“ findet in diesem Jahr zum 28. Mal statt. Nach einem ersten, digitalen Teil, kommen noch bis Mittwoch rund 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Freien Universität in Berlin zusammen. Die Veranstaltung dient dem Austausch von Wissenschaft, Politik und Menschen aus der Praxis. Im Zentrum des Treffens stehen Ansätze zur Gesundheitsförderung wirtschaftlich schwacher Menschen und die Prävention gesundheitlicher Folgen von Armut.