Philosoph über Staatshilfen: Nicht alle Probleme mit Geld zuschütten

Philosoph über Staatshilfen: Nicht alle Probleme mit Geld zuschütten
29.11.2022
epd
epd-Gespräch: Julia Pennigsdorf

Hannover (epd). Der Philosoph Johannes Müller-Salo vermisst angesichts immer neuer milliardenschwerer Staatshilfen eine flankierende kritische Debatte. „Es scheint, als seien die Menschen nach drei Krisenjahren müde, diese Diskussion zu führen“, sagte Müller-Salo dem Evangelischen Pressdienst (epd). Dabei sei es wichtig, über notwendige Veränderungen in der Gesellschaft zu streiten, „statt Probleme mit Geld zuzuschütten“. Müller-Salo hat das Buch „Offene Rechnungen. Der kalte Konflikt der Generationen“ geschrieben. Er forscht an der Universität Hannover zu Fragen der Ethik, insbesondere zu Klima- und Generationengerechtigkeit.

Mehrere 100 Milliarden Euro Corona-Schulden, 100 Milliarden für die Bundeswehr, 200 Milliarden zur Bewältigung der Energiekrise: Dass über die „unfassbar hohen Summen“, die der Staat zur Verfügung stellt, nicht diskutiert werde, sei auch deshalb bemerkenswert, weil über deutlich geringere Summen durchaus gestritten werde, sagte Müller-Salo. Das zeige die Kontroverse über das Bürgergeld. „Das ist ein Bruchteil des Geldes, da ist die Verhältnismäßigkeit ins Rutschen geraten.“

Die Debatten über die staatlichen Hilfen werden dem 34-Jährigen zufolge zum einen nicht geführt, weil sie „uns alle betreffen und wir alle - mehr oder weniger - profitieren“. Zum anderen scheue die Gesellschaft den Streit über dahinterliegende, zentrale Fragen: Welche Branchen retten wir? Welche Technologien? Welche Konsummuster? „Wir schleichen um diese Debatte herum, die Antworten aber brauchen wir, um die Transformation der Gesellschaft voranzutreiben.“

Die Politik ist dem Philosophen zufolge in der Pflicht, den gesellschaftlichen Austausch zu diesen Themen zu entfachen. Die Öffentlichkeit sei divers und fragmentiert, staatliche Institutionen deshalb mehr denn je in der Pflicht, Räume für einen breiten, öffentlichen Diskurs zu öffnen. „Es ist ärgerlich, dass in dieser Hinsicht so wenig von der Politik kommt.“

Dass die Staatshilfen auch die Generationengerechtigkeit berühren, steht für Müller-Salo außer Frage. „Aus der Perspektive junger Menschen sind diese Ausgaben natürlich kritisch zu sehen.“ Zum einen müssten nachfolgende Generationen enorme Schulden zurückzahlen, zum anderen werde das Geld dringend für den ökologischen Umbau der Gesellschaft gebraucht. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass so viel Geld in absehbarer Zeit noch einmal zur Verfügung stehen wird.“