Kassel (epd). Patientinnen und Patienten dürfen bei einer gerichtlich angeordneten ärztlichen Begutachtung regelmäßig eine Vertrauensperson mitnehmen. Nur wenn im Einzelfall mit der Mitnahme einer Begleitperson „die objektive, effektive oder unverfälschte Beweiserhebung erschwert oder verhindert“ wird, dürfe das Gericht, nicht aber der Gutachter, den Ausschluss der Vertrauensperson von der Begutachtung anordnen, urteilte am Donnerstag das Bundessozialgericht in Kassel. (AZ: B 9 SB 1/20 R)
Im Streitfall ging es um einen Kläger aus Niedersachsen, bei dem in der rechten Schulter ein Tumor festgestellt worden war. Während der erforderlichen operativen Schulterblattteilentfernung kam es zu einem Behandlungsfehler, so dass der Kläger eine Angst vor ärztlichen Untersuchungen entwickelt hatte. Gerichtlich hatte er einen Grad der Behinderung von 50 erstritten und galt damit als schwerbehindert.
Nach fünf Jahren wurde die bestehende Behinderung noch einmal überprüft. Wegen einer Gesundheitsbesserung ging die zuständige Behörde nun von einem Grad der Behinderung von nur 20 aus.
Im Klageverfahren hatte das Sozialgericht einen Orthopäden als Gutachter zur Bestimmung des Behinderungsgrades beauftragt. Der Mann stimmte der Begutachtung nur zu, wenn seine Tochter als Vertrauensperson mit anwesend sein dürfe. Das lehnte der Mediziner ab, da die Anwesenheit der Tochter die „Erhebung objektiver Befunde“ erschwere. Der daraufhin vom Gericht beauftragte zweite Gutachter lehnte die Anwesenheit einer Vertrauensperson ebenfalls ab, so dass der Kläger sich wiederum nicht begutachten ließ.
Das Landessozialgericht Celle wertete dies als Verletzung der Mitwirkungspflicht. Nach der vorliegenden Erkenntnislage könne der Kläger keinen Grad der Behinderung von mehr als 30 beanspruchen. Die Begutachtung ohne Anwesenheit einer Vertrauensperson sei zumutbar.
Doch das Bundessozialgericht urteilte, dass eine durch einen medizinischen Sachverständigen zu begutachtende Person regelmäßig eine Vertrauensperson mitnehmen dürfe. Das gebiete das Recht auf ein faires Verfahren und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der zu begutachtenden Person. Nur ausnahmsweise könne eine Vertrauensperson von der Begutachtung ausgeschlossen werden.