Verfassungsrechtler: Stärkere müssen Wohlstandsverluste hinnehmen

Verfassungsrechtler: Stärkere müssen Wohlstandsverluste hinnehmen
24.08.2022
epd
epd-Gespräch: Julia Pennigsdorf

Oldenburg (epd). Der Oldenburger Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler unterstreicht angesichts erheblich steigender Lebenshaltungskosten die Pflicht des Staates, Menschen mit geringen Einkommen zu unterstützen. „Das besagt das im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsgebot“, sagte der Jura-Professor dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Das bedeute nicht, dass der Staat Wohlstandsverluste durch Inflation und hohe Energiepreise bei den Bürgern verhindern muss. „Das kann er auch gar nicht, die Stärkeren müssen finanzielle Verluste hinnehmen“, sagte Boehme-Neßler: „Aber der Staat muss verhindern, dass die Situation für Schwächere im Alltag sozial unerträglich wird.“

Dies sei spätestens dann der Fall, wenn Menschen frieren oder hungern müssten. Schwierig werde die Situation voraussichtlich nicht nur für Leistungsempfänger, sondern vor allem für Menschen mit kleinen Einkommen, die ihre Miete und Energiekosten selbst bezahlen müssen und deren Geld schon jetzt kaum für den Lebensunterhalt ausreiche. „Das betrifft viele Millionen Menschen“, sagte der Jurist von der Universität Oldenburg.

Boehme-Neßler verwies darauf, dass das Sozialstaatsgebot in direktem Zusammenhang mit der im Grundgesetz garantierten Menschenwürde steht. „Ein ökonomisches Existenzminimum ist materielle Basis der Menschenwürde“, sagte er.

Wie der Sozialstaat im Detail ausgestaltet wird, lässt die Verfassung dem Juristen zufolge offen: „Sie sagt der Politik nur, Ihr müsst etwas tun. Die konkreten sozialpolitischen Maßnahmen und Entscheidungen müssen von der Politik kommen.“