Soziologe Jäckel: Energiesparen als "nationaler Wettbewerb"

Soziologe Jäckel: Energiesparen als "nationaler Wettbewerb"
04.08.2022
epd
epd-Gespräch: Stephan Cezanne

Trier (epd). Der Trierer Soziologe Michael Jäckel sieht im Energiesparen „die Qualität eines nationalen Wettbewerbs“. Selten hätten so viele Menschen zur gleichen Zeit vor Entscheidungen mit existenzieller Tragweite gestanden, sagte der Professor und Präsident der Universität Trier dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Summe der aktuellen Krisen eine die Menschen zwar, „aber die ohnehin vorhandene soziale Ungleichheit wird nun noch stärker strapaziert“.

Die „Mehrfachdosis“ von Krisen beunruhige die Menschen sehr, fügte Jäckel hinzu: „Die Pandemie schickt man in diesem Sommer noch auf den Pausenhof, aber ansonsten werden nur der Ukraine-Krieg und seine Folgen wahrgenommen. Verluste werden eben stärker gewichtet als Gewinne. Die pessimistische Grundtendenz in der Gesellschaft steigt.“ Seit 2020 gleiche zum Beispiel die Verbraucherstimmung einer „unruhigen Fieberkurve“ und habe einen historischen Tiefststand erreicht. Für die Politik und für den einzelnen sei es eine „Hochphase der Verantwortung. Viele brauchen materielle Hilfe.“

Zum Thema Solidarität und Teilhabe sagte Jäckel: „Der Konsum integriert und differenziert nun einmal zugleich. Die einen reden mehr über Optionen, die anderen mehr über Grenzen.“ Solange das Gefühl der Teilhabe an den Annehmlichkeiten des Wohlstands bleibe, verschwimme das Ungleichheitsempfinden. In Krisen dagegen „tritt es deutlich hervor“, sagte Jäckel.

„Die Einkommensungleichheit mit extremen Beispielen zu beschreiben, moralisiert nur den Blick“, warnte Jäckel. Die Hilfsbereitschaft in der Breite sei vorhanden, etwa in Gemeinden oder in Nachbarschaften. Dies sei viel wichtiger, als weitere Krisen-Metaphern zu erfinden.

Die geforderte Sparsamkeit sei in ihrem Volumen zwar neu, „aber nicht neu an sich“, gibt Jäckel zu bedenken. Energieeffizienz-Label seien bereits selbstverständliche Zusatzinformationen auf Haushaltsgeräten, Vergleichsportale assistierten beim Finden des optimalen Energieeinkaufs - „seit geraumer Zeit auf hohem und steigendem Niveau“. Nachhaltigkeit werde nun allerdings „schneller buchstabiert und angestrebt“.

„Das Ziel des Verzichts ist noch zu diffus, aber - bildlich gesprochen - was soll der Kopf jetzt im Sand?“, so Jäckel weiter. Die Rahmenbedingungen des Sparens änderten sich: „Man hat nicht das Gefühl, dass mit dem Geldausgeben absehbar ein persönlicher Erfolg verbucht werden kann. Die Werbung hat die Menschen mit ihren permanenten Rabatt- und Renditeversprechungen verwöhnt.“ Nun befinde sich der Verbraucher in einer anhaltenden „Hochkostensituation“.