Gaskrise: Sozialverbände gegen Einschränkungen für Privathaushalte

Gaskrise: Sozialverbände gegen Einschränkungen für Privathaushalte
Im Falle einer Gasknappheit sind Privathaushalte laut Gesetz prioritär zu versorgen. Dass Wirtschaftsminister Habeck diesen Grundsatz infrage stellt und auf die Bedürfnisse der Industrie verweist, löst Empörung aus.

Berlin (epd). Die Infragestellung des Gas-Vorrangs für private Haushalte durch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stößt auf scharfe Kritik bei Sozialverbänden und Gewerkschaften. Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag), gerade Familien mit kleinen Kindern, Menschen mit einer Behinderung sowie ältere, chronisch kranke und pflegebedürftige Menschen seien auf eine sichere Versorgung mit Gas angewiesen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warf Habeck vor, Kranke und Pflegebedürftige zu verunsichern.

Bentele erklärte: „Es geht um elementare Bedürfnisse, wie eine warme Mahlzeit, warmes Wasser oder ein warmes Zimmer, und nicht um Luxusgüter, auf die sich leicht verzichten lässt.“ Die EU habe „aus gutem Grund“ die gesetzliche Regelung getroffen, Privathaushalte im Fall der Gasknappheit besonders zu schützen, erklärte sie. „An der Priorisierung der Privathaushalte darf nicht gerüttelt werden.“ Die Bundesregierung setze sonst die Gesundheit von Menschen „aufs Spiel“.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, betonte, wer tatsächlich Gas im Winter bekomme, dürfe nicht ein Bundesminister entscheiden. „Der Bundestag ist gefordert, die Frage der Priorisierung allgemeingültig zu klären“, sagte Brysch der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Donnerstag). Nur so könne der Verunsicherung in der Bevölkerung entgegengetreten werden.

Ver.di-Chef Frank Werneke kritisierte ebenfalls die Überlegungen Habecks. „Es gibt klare europaweite gesetzliche Regelungen: Zuerst sind die Privathaushalte, Schulen, Krankenhäuser und so weiter mit Gas zu versorgen“, sagte Werneke dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Donnerstag). „Wer daran rüttelt, wie aktuell der Bundeswirtschaftsminister, legt einen politischen Brandherd“, betonte der Gewerkschaftschef. „Ich bin sehr dafür, Energie zu sparen, aber das muss freiwillig geschehen.“

Auch der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, verwies auf die rechtlichen Bestimmungen. „Die deutsche und die europäische Rechtslage sehen vor, private Haushalte bis zum Ende zu schützen“, sagte Müller dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Donnerstag). „Selbst im schlimmsten Szenario wird Deutschland weiter Gas bekommen aus Norwegen und von Terminals aus Belgien oder Holland, demnächst auch direkt von Terminals an der deutschen Küste“, fügte er hinzu.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte die bisher vorgesehene Priorisierung von Verbrauchern gegenüber der Industrie im Falle einer Gasknappheit infrage gestellt. Hintergrund sind Sorgen vor einem Totalausfall russischer Gaslieferungen.

Angesichts eines befürchteten weiteren Preisanstiegs forderte die Bundesnetzagentur die Verbraucher zur finanziellen Vorsorge auf. „Bei denen, die jetzt ihre Heizkostenabrechnung bekommen, verdoppeln sich die Abschläge bereits - und da sind die Folgen des Ukraine-Krieges noch gar nicht berücksichtigt“, sagte Präsident Müller. Ab 2023 müssten sich Gaskunden auf eine Verdreifachung der Abschläge einstellen. Dass Kunden, die derzeit 1.500 Euro im Jahr für Gas bezahlen, künftig mit 4.500 Euro und mehr zur Kasse geben werden, sei „absolut realistisch“, sagte Müller. An den Börsen hätten sich die Preise zum Teil versiebenfacht.