Buchenwald: Gedenkstättenarbeit ohne Zeitzeugen wandelt sich

Buchenwald: Gedenkstättenarbeit ohne Zeitzeugen wandelt sich
12.07.2022
epd
epd-Gespräch: Matthias Thüsing

Weimar (epd). Der Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora in Thüringen, Jens-Christian Wagner, setzt auf neue Formen der Gedenkstättenarbeit. Ohne lebende Zeitzeugen müsse sich die Forschung nun verstärkt den schriftlichen Quellen zur Lagergeschichte zuwenden, sagte Wagner dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Weimar. Die Zahl der noch lebenden Opfer und auch Täter werde immer geringer. Vor 85 Jahren wurden die ersten Häftlinge zum Ettersberg bei Weimar verschleppt, um das KZ Buchenwald zu errichten. Die 149 Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen trafen am 15. Juli 1937 dort ein.

Auch wenn Zeitzeugenberichte wichtig blieben, seien sie nur eine Quellengattung unter anderen, sagte Wagner. Es gebe zu Buchenwald rund drei Millionen Dokumente, die der Forschung inzwischen zugänglich gemacht worden seien. „Wir müssen möglichst alle Quellen heranziehen, und wir müssen die Perspektive erweitern“, sagte der Historiker.

Es reiche nicht aus, den Blick auf die Opfer zu richten. Es müsse gefragt werden, warum sie zu Opfern wurden beziehungsweise wer sie dazu gemacht hat. „Wir müssen uns viel mehr als bisher mit den Tätern, Mittätern und Profiteuren beschäftigen“, sagte Wagner: „Es geht darum, nach der Funktionsweise der NS-Gesellschaft zu fragen.“

Auch die pädagogische Gedenkstättenarbeit ändere sich ohne Zeitzeugen, betonte Wagner. Mittlerweile besuchten Jugendliche die Gedenkstätten, deren Großeltern den Nationalsozialismus schon nicht mehr selbst erlebt haben. „Für sie brauchen wir intensivere Formate“, sagte der Gedenkstättenleiter: „Das hergebrachte Format, die 1,5-Stunden-Führung im Frontalvortrag, funktioniert da nicht mehr.“

Stattdessen setze die Gedenkstätte den Mindestaufenthalt für Gruppen derzeit auf drei bis vier Stunden hoch, sagte Wagner. Noch besser sei ein Aufenthalt von einem ganzen oder mehreren Tagen. Nur so bestehe eine wirkliche Chance, das Geschichtsbewusstsein und die historische Urteilskraft der Besucherinnen und Besucher zu stärken.

Ein Problem bleibe dabei die Finanzierung, betonte Wagner. Zwar bleibe seine Einrichtung bislang von Kürzungen verschont. Inflation und Energiepreise bereiteten jedoch große Probleme. Dies führe zu finanziellen Einschränkungen. Ausstellungen würden weniger aufwändig und mit anderen Materialien geplant. Manche Projekte müssten auch auf spätere Jahre verschoben werden. Zugleich gebe es bereits jetzt einen Investitionsstau, etwa bei der Erneuerung der 25 Jahre alten Dauerausstellungen.