"Im Zweifel für den Angeklagten"

"Im Zweifel für den Angeklagten"
Högel-Vorgesetzte: Gericht sieht bisher keine Beweise für Mitschuld
Wenn den ehemaligen Vorgesetzten des Patientenmörders Niels Högel eine Mitschuld an den grausigen Taten und damit Beihilfe zum Totschlag nachgewiesen werden soll, sind stichhaltige Fakten gefragt. Die fehlen nach Einschätzung des Gerichtes bisher.

Oldenburg (epd). Im Prozess zur Mitschuld ehemaliger Vorgesetzter an Taten des Patientenmörders Niels Högel lässt sich aus Sicht des Oldenburger Landgerichtes für einen Teil der Angeklagten eine Verurteilung bisher „nicht mit ausreichender Gewissheit“ rechtfertigen. Das gelte für die vier Angeklagten aus dem Klinikum Oldenburg, sagte der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann am Montag in einer vorläufigen Einschätzung des Verfahrensverlaufes etwa zur Hälfte der momentan angesetzten Prozessdauer. Die Beweisaufnahme habe die dafür notwendigen Nachweise bislang nicht erbracht. (AZ: 5 Ks 20/16)

In dem Verfahren, das im Februar begonnen hatte, will die Schwurgerichtskammer klären, ob sich Vorgesetzte Högels mitschuldig gemacht haben. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft in unterschiedlichem Umfang Beihilfe zum Totschlag beziehungsweise versuchten Totschlag jeweils durch Unterlassen vor. Angeklagt sind drei Ärzte sowie drei leitende Pflegerinnen und Pfleger und ein Ex-Geschäftsführer der Kliniken Oldenburg und Delmenhorst.

Zwar gehe die Kammer davon aus, dass sich im Klinikum Oldenburg durchaus ein beträchtliches Misstrauen gegenüber Högel entwickelt habe, sagte Bührmann. Dieses Misstrauen habe sich im Laufe der Zeit noch gesteigert. Doch auch ein deutliches Unbehagen reiche für die Feststellung vorsätzlichen Verhaltens nicht aus. Abzuwarten bleibe, ob sich das noch im Verlauf der weiteren Beweisaufnahme ändere. Nötig seien konkrete Anhaltspunkte.

Um in den Oldenburger Fällen zu einem Urteil kommen zu können, prüft das Gericht unter anderem Geschehnisse im November 2001. Bührmann sagte dazu, insbesondere der Umstand, dass Högel noch im darauffolgenden Dezember innerhalb des Klinikums selbst die Abteilung habe wechseln können, spreche gegen einen Vorsatz bei medizinischen und arbeitsrechtlichen Vorgesetzten. Auch weitere Indizien wie eine Strichliste, die eine Verbindung zwischen Todesfällen und Högel darstellen sollte, seien nicht stichhaltig genug. Allerdings sei die Beweisaufnahme noch nicht beendet, die Vernehmung weiterer Zeugen stehe aus.

Mit Blick auf die Geschehnisse im Klinikum Delmenhorst sei die Beweisaufnahme noch nicht so weit fortgeschritten wie im Oldenburger Komplex, ergänzte Bührmann. Auch dort sehe das Gericht bisher Indizien für ein wachsendes Misstrauen gegen Högel. Durch die Vernehmung weiterer Zeugen sei zu klären, ob und inwieweit im Handeln der Vorgesetzten die Grenze der Fahrlässigkeit hin zum bedingten Vorsatz überschritten sei. „Wir müssen das mit konkreten Umständen belegen“, betonte der Vorsitzende Richter. Die Kammer sei „kein Untersuchungsausschuss“. Bei Unsicherheiten etwa zu zeitlichen Abläufen gelte: „Im Zweifel für den Angeklagten.“

Der Ex-Krankenpfleger Högel war am 6. Juni 2019 vom Oldenburger Landgericht zu einer lebenslangen Haft wegen 85 Morden verurteilt worden. Er hatte Patienten mit Medikamenten vergiftet, um sie anschließend reanimieren zu können. So wollte er als Lebensretter glänzen.