Flüchtling wegen Ertrinkens seines Sohnes in Samos vor Gericht

Flüchtling wegen Ertrinkens seines Sohnes in Samos vor Gericht

Frankfurt a.M., Samos (epd). Wegen des Ertrinkungstods seines Sohnes auf der Flucht steht ein Afghane seit Mittwoch auf der griechischen Insel Samos vor Gericht. Dem Mann wird vorgeworfen, das Leben des Kindes gefährdet zu haben, indem er den Sechsjährigen in ein Boot nach Europa setzte. Menschenrechtler sprechen von einem „beunruhigenden Präzedenzfall für die Kriminalisierung von Migranten“. Dem Mann drohen nach Angaben der Organisation borderline-europe bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Der 25-jährige N. sei der erste Asylsuchende, der in Europa für den Tod seines Kindes angeklagt worden sei. „Dabei war alles, was er wollte, sein Kind in Sicherheit zu bringen“, protestieren die Menschenrechtler. Mit N. muss sich ein 23 Jahre alter Afghane namens Hasan verantworten, der bei der Überfahrt im November 2020 das Steuer des Flüchtlingsboots übernommen hatte. Die Menschenschmuggler seien zuvor kurz nach dem Ablegen von Bord gegangen und hätten das Boot und seine Insassen ihrem Schicksal überlassen, erklärte borderline-europe. Hasan drohten nun eine lebenslange Haftstrafe für den Tod des Kindes und weitere zehn Jahre Haft für jede der insgesamt 23 transportierten Personen, insgesamt also 230 Jahre plus lebenslänglich.

„Diese Verhaftungen können nur als systematischer Versuch gewertet werden, Menschen von der Einreise abzuschrecken“, erklärte Julia Winkler von borderline-europe. „Die Behörden wissen sehr wohl, dass die Verhafteten selbst Geflüchtete sind. Aber sie machen sie zu Sündenböcken für Bootstragödien, die in Wirklichkeit die unvermeidliche Folge der militarisierten Grenzen sind.“ Das Boot mit N. und Hasan an Bord war vor Samos gekentert.

In einer Online-Petition haben Dutzende Organisationen aus ganz Europa gefordert, die Vorwürfe gegen die beiden Männer, die „Samos2“, fallenzulassen. „Der Schiffbruch vom 7. November 2020 und der Tod von N.s Sohn waren weder die Schuld von N. und Hasan, noch war es eine unglückliche Tragödie“, heißt es in der Petition. „Sie sind das unmittelbare Ergebnis der zunehmenden Abschottungspolitik der EU, die den Menschen keine andere Wahl lässt, als ihr Leben und das ihrer Familien auf immer lebensgefährlicheren Reisen zu riskieren.“