Wissenschaftler kritisiert Zurückhaltung der orthodoxen Kirchen

Wissenschaftler kritisiert Zurückhaltung der orthodoxen Kirchen
04.03.2022
epd
epd-Gespräch: Karsten Packeiser

Mainz (epd). Der Mainzer Ostkirchenkundler Mihai Grigore beklagt die zurückhaltenden Stellungnahmen der orthodoxen Kirchen zum Krieg Russlands gegen die Ukraine. Derzeit werde in allen orthodoxen Ländern für Frieden, Waffenstillstand und Versöhnung gebetet, sagte der Religionshistoriker dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mit wenigen Ausnahmen hätten die orthodoxen Hierarchen aber bislang auf direkte Appelle an Moskau verzichtet, die Invasion zu stoppen. Besonders die Haltung des russischen Patriarchen Kyrill sei bezeichnend.

In der Russischen Orthodoxen Kirche sieht Grigore prinzipiell durchaus eine Kraft, die den Verlauf des Krieges beeinflussen könnte. „Die Orthodoxie ist für Putin auch wichtig. Der russische Patriarch Kyrill hätte schon Einfluss, wenn er sich stark positionieren würde“, sagte der Wissenschaftler. „Er will aber nicht.“

In einer aktuellen Predigt habe Kyrill den Wunsch nach Frieden geäußert, zugleich aber davon gesprochen, dass den „Mächten des Bösen“ Einhalt geboten werden müsse. Der Patriarch habe darauf verzichtet, explizit zu erklären, wen er damit meine. Der Kontext lege aber den Schluss nahe, dass die Äußerung sich gegen die ukrainische Führung richtete. Auch habe das Kirchenoberhaupt Opfer unter der Zivilbevölkerung verurteilt, damit aber indirekt das Vorgehen gegen die ukrainischen Streitkräfte gebilligt.

Im Gegensatz zu vielen zurückhaltenden Stimmen aus den orthodoxen Kirchen habe der rumänische Patriarch Daniel den russischen Angriff klar verurteilt und sich hinter die Position von EU und Nato gestellt. „Das ist ganz eindeutig ein prowestliches Statement gewesen“, sagte Grigore.

Historisch gebe es eine Reihe von Situationen, in denen die orthodoxe Kirche kriegerische Konflikte effektiv habe beilegen können, etwa Bürgerkriege im alten Byzanz oder Auseinandersetzungen zwischen den rumänischen Fürstentümern, sagte der Religionshistoriker. Zudem werde nach orthodoxem Kirchenrecht das Töten auch im Krieg und auf Befehl ausnahmslos als eine Sünde gesehen. In der Vergangenheit hätten Soldaten dafür eine Buße leisten müssen. Grundsätzlich seien die Möglichkeiten der orthodoxen Kirchen, in modernen zwischenstaatlichen Konflikten Frieden zu schaffen, aber ähnlich begrenzt wie die von Katholiken oder Protestanten.

In der Ukraine bekennt sich die Mehrheit der religiösen Bevölkerung zum orthodoxen Christentum. Zwei größere Kirchen, die eigenständige Orthodoxe Kirche der Ukraine und die nach wie vor mit dem Moskauer Patriarchat verbundene Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, rivalisieren miteinander. Daneben hat vor allem im Westen des Landes die Griechisch-Katholische Kirche viele Anhänger, die den orthodoxen Ritus praktiziert, aber den Papst in Rom als Oberhaupt anerkennt.