Expertin: Ukraine-Hilfe profitiert von Erfahrungen von 2015

Expertin: Ukraine-Hilfe profitiert von Erfahrungen von 2015
04.03.2022
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Osnabrück (epd). Die deutsche Gesellschaft profitiert derzeit bei der Hilfe für ukrainische Flüchtlinge nach Ansicht der Osnabrücker Migrationsforscherin Helen Schwenken von den im Jahr 2015 gemachten Erfahrungen. Staat, Kommunen und zivilgesellschaftliche Organisationen reagierten heute viel schneller und professioneller als damals, sagte die Direktorin des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Damals lief die Hilfe erst an, als die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf den Bahnhöfen ankamen. Diesmal waren Unterkünfte und Hilfsgüter vorbereitet, noch bevor überhaupt ein Ukrainer hier war.“

Die aufgebauten Strukturen und erprobten Abläufe etwa in Erstaufnahmeeinrichtungen müssten jetzt nur reaktiviert werden. Kommunen sammelten zentral Angebote von Privatleuten, die Flüchtlinge unterbringen wollten. Vereine und Initiativen griffen offenbar auf damals eingerichtete Social-Media- und Messenger-Gruppen zurück und organisierten in kurzer Zeit Spendenaktionen und Hilfslieferungen, sagte Schwenken. Dabei kommunizierten sie direkt, welche Waren gebraucht würden.

Die Soziologin warnte aber vor möglichen späteren Konflikten, gerade mit Blick auf die seit Jahren in Deutschland lebenden Menschen mit russischen Wurzeln. Es gebe durchaus einen antirussischen Rassismus, der aber wegen der vielen Debatten um Rassismus gegen Schwarze weniger thematisiert werde. „Vor allem die Schulen und andere Bildungseinrichtungen sind jetzt gefragt, früh gegenzusteuern.“

Die Empathie für die Geflüchteten aus der Ukraine ist nach Schwenkens Beobachtung ähnlich groß wie 2015 für die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien. Aufgrund der relativ großen ukrainischen Community in Deutschland, die rund 250.000 Personen umfasse, gebe es allerdings mehr familiäre Beziehungen. Auffällig sei, dass osteuropäische Länder wie Ungarn und Polen jetzt eine große Aufnahmebereitschaft zeigten, während sie damals syrische, afghanische oder afrikanische Flüchtlinge strikt abgelehnt hätten. „Da zählt offenbar sehr die von ihnen wahrgenommene historisch-kulturelle Nähe.“

Deutlich werde das auch daran, dass Flüchtlinge anderer Nationen aus der Ukraine an den Grenzen oder schon vorher häufig zurückgewiesen würden. Sie wisse etwa von indischen, nigerianischen oder nepalesischen Studierenden, die noch in der Ukraine daran gehindert wurden, in Züge Richtung Westen einzusteigen. Derzeit seien Vertreter zahlreicher Länder etwa an der polnisch-ukrainischen Grenze unterwegs, um ihre Staatsangehörigen aus der Krisenzone zu bringen: „Sie sagen den jungen Menschen, sie müssten es zu Fuß über die Grenze zu Polen schaffen. Dann würden sie in ihre Heimatländer gebracht.“