Friedensforscher: Westen muss für Verständigung aufrüsten

Friedensforscher: Westen muss für Verständigung aufrüsten
03.03.2022
epd
epd-Gespräch: Jens Bayer-Gimm

Frankfurt a.M. (epd). Deutschland und die Nato-Verbündeten müssen nach den Worten des Friedensforschers Niklas Schörnig ihr Militär verstärken. „Der Angriff Putins auf die Ukraine ist eine Zeitenwende: Die bestehende europäische Sicherheitsarchitektur wurde durch Russland zerstört“, sagte der Forschungsgruppenleiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir müssen gezwungenermaßen wieder wie im Kalten Krieg denken.“

„Es muss ein Signal der Stärke geben, um überhaupt wieder in einen Gesprächsmodus mit Russland zu kommen“, sagte Schörnig. Stärke zeigen und Kooperation schlössen sich nicht aus: Im Kalten Krieg hätten die Nato und der Warschauer Pakt unter ähnlichen Vorzeichen Höchstgrenzen für Waffen und darauf aufbauend sogar Abrüstung vereinbart.

Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), in diesem Jahr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zu schaffen und künftig im Haushalt die vor Jahren in der Nato vereinbarten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung zur Verfügung zu stellen, bedeute vermutlich keine Aufrüstung, sagte der Politikwissenschaftler. Vielmehr versetze das Geld die Bundeswehr erst einmal in den Stand, ihre Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung glaubhaft erfüllen zu können. Es koste allein schon 20 Milliarden Euro, die Munitionsdepots der Bundeswehr nach Nato-Standard für 30 Tage zu füllen. Genauso fehle es an Wäsche und persönlicher Ausrüstung für die Soldaten.

„Die Ankündigung des Bundeskanzlers stellt keine Wende in der deutschen Politik dar, sondern schafft mehr Klarheit, wo vorher Unklarheit herrschte“, erklärte Schörnig. Bisher sei nicht klar gewesen, ob die Bundeswehr ihre Verpflichtungen in der Nato erfüllen könne. Für neue Hightech-Waffen über die bisher diskutierten Waffen hinaus werde das Geld nicht reichen. Allerdings habe die Bundeswehr „Fähigkeitslücken“ - so mangele es an einer vernünftigen Drohnenabwehr. Auch die Anschaffung von Drohnen sei aus militärischer Sicht nachvollziehbar - rund 40 Staaten verfügten inzwischen über bewaffnete Drohnen. Eine Stärkung der Bundeswehr müsse aber für Verbündete transparent und im Bündniskontext erfolgen.

Die Stärkung der Nato halte den russischen Präsidenten Wladimir Putin hoffentlich von weiteren denkbaren Angriffsabsichten ab, sagte der Forscher. „Deutschland kann nicht akzeptieren, dass ein Aggressor das Recht des Stärkeren durchsetzt. Wir müssen dem Aggressor deutlich machen: Stopp!“ Auch ein Kompromiss im gegenwärtigen Krieg in Form einer Teilung der Ukraine sei völkerrechtlich nicht akzeptabel, weil dies Aggression belohnen würde.

Der Westen müsse das Stoppsignal an Putin aber gleichzeitig mit Gesprächsbereitschaft begleiten, betonte Schörnig. „Das Ziel darf nicht aus dem Auge verloren werden, dass langfristig wieder Vertrauen gewonnen werden muss.“ Eine Stärkung der Bundeswehr dürfe kein Selbstzweck werden, letztlich müssten die Staaten zu kooperativen Lösungen gelangen.