Missbrauch: Experten und Politik fordern unabhängige Aufarbeitung

Missbrauch: Experten und Politik fordern unabhängige Aufarbeitung
Das in München veröffentlichte Missbrauchsgutachten ruft Forderungen nach einer unabhängigen Aufarbeitung hervor. Die Politik müsse mehr Verantwortung übernehmen, verlangt das Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

Frankfurt a.M. (epd). Nach der Vorstellung des Gutachtens zu Fällen sexualisierter Gewalt im katholischen Erzbistum München und Freising werden Forderungen nach unabhängiger Aufarbeitung der Missbrauchsfälle laut. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) brachte eine Wahrheitskommission im Bundestag ins Gespräch. Auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lamya Kaddor, sprach sich für ein solches Gremium aus. Nach den Worten der stellvertretenden Sprecherin der Bundesregierung, Christiane Hoffmann, ist das Münchener Gutachten ein wichtiger Schritt, dem aber weitere folgen müssten.

Das unabhängige Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl belastet unter anderem den emeritierten Papst Benedikt XVI. in seiner Rolle als früherer Münchener Erzbischof schwer. Er soll in mehreren Fällen nicht ausreichend gegen Missbrauchstäter vorgegangen sein. Insgesamt ergaben die Nachforschungen für den Zeitraum 1945 bis 2019 Hinweise auf mindestens 497 Betroffene sexualisierter Gewalt.

ZdK-Präsidentin Imre Stetter-Karp unterstrich, dass die Politik mehr Verantwortung für die Aufarbeitung in den Kirchen übernehmen müsse: „Es geht um eine unabhängige Instanz, die nach der Wahrheit sucht“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im RBB Inforadio erklärte sie, sie könne sich einen Ausschuss im Parlament, eine Wahrheitskommission, zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle vorstellen.

Die Grünen-Abgeordnete Kaddor sagte, sie halte es für „angezeigt, dass sich eine Kommission im Bundestag damit beschäftigt“. Es müsse darum gehen, alle Beteiligten, die von solchen Vorgängen Kenntnis hatten, sprechen und befragen zu können, um die Geschehnisse rekonstruieren und Konsequenzen ziehen zu können. Dass Täter in der katholischen Kirche in der Vergangenheit kaum mit Strafen zu rechnen hatten, müsse ebenfalls zum Thema gemacht werden.

Kaddor ergänzte, inzwischen gebe es Erkenntnisse über das Ausmaß des Missbrauchs über einen langen Zeitraum und an unterschiedlichen Orten, die auf „ein massives strukturelles Problem der katholischen Kirche hinweisen“. „Wir sprechen hier nicht über Einzelfälle.“ Was die katholische Kirche bisher zur Aufarbeitung unternommen habe, sei nicht ausreichend.

Laut der stellvertretenden Regierungssprecherin Hoffmann muss das Vertrauen in den Aufarbeitungswillen der katholischen Kirche und von einzelnen Würdenträgern gestärkt werden. Ein Sprecher des Justizministeriums ergänzte, die Vorfälle seien keine innere Angelegenheit der Kirchen. Wo immer sich Anhaltspunkte für Straftaten ergäben, die noch verfolgt werden könnten, müssten diese auch verfolgt werden. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die unabhängige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu fördern.

Der Politikwissenschaftler Carsten Frerk bezeichnete die juristische Untersuchung der Missbrauchsfälle als „eine gute Absichtserklärung“. Jedoch müsse der Staatsanwalt oder Richter erstmal gefunden werden, „der sich mit der katholischen Kirche anlegt“, sagte er dem epd.

Die Philosophin Doris Reisinger, die selbst als junge Frau Opfer von Missbrauch wurde, forderte ein Einmischen der kirchlichen Basis sowie der Politik: „Es braucht laute Kritik an der katholischen Kirche. Mandatsträger, beispielsweise im Bundestag, müssen sich zu Wort melden und ihre Instrumente nutzen“, sagte sie dem epd. Reisinger hatte im vergangenen Jahr auch ein Buch über den Umgang Benedikts mit Missbrauch auch in seiner Zeit als Leiter der vatikanischen Glaubenskongregation veröffentlicht.