Genf (epd). Vertreter der Vereinten Nationen haben allen am äthiopischen Bürgerkrieg beteiligten Parteien Verbrechen vorgeworfen. Mit der jüngsten Ausweitung der Kämpfe gebe es weitere Berichte über Menschenrechtsverletzungen, sagte die stellvertretende UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Nada Al-Nashif, am Freitag in Genf bei einer Sitzung des UN-Menschenrechtsrates. Einige Vorfälle seien möglicherweise als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bewerten. Bei der von der EU beantragten Sondersitzung berieten die Staaten über eine Resolution, die die Einsetzung einer internationalen Kommission zur Untersuchung der Vorwürfe vorsieht.
In ihrer Rede zum Auftakt der Sitzung machte Al-Nashif der äthiopischen Regierung schwere Vorwürfe. Unter dem im November verhängten Ausnahmezustand hätten die Behörden Tausende Menschen verhaftet, sagte sie. Bei den meisten Inhaftierten handele es sich um Angehörige der Volksgruppe der Tigray. Demnach wurden auch neun UN-Mitarbeiter festgenommen. Zwar seien in den vergangenen sechs Wochen Hunderte Menschen freigelassen worden, doch bis zu 7.000 Menschen seien noch inhaftiert. Sie warnte zudem vor der Verbreitung von Hass im Fernsehen und auf Plattformen wie Twitter und Facebook.
Der Bürgerkrieg in Äthiopien entzündete sich vor rund einem Jahr in der nördlichen Region Tigray, wo ein Machtkampf zwischen der dort regierenden Partei Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) und der Zentralregierung eskalierte. Der Konflikt weitete sich nach und nach auf andere Regionen des Landes aus. Mit dem Anfang November verhängten Notstand können die Behörden Menschen ohne Gerichtsentscheidung inhaftieren und Medien, nichtstaatliche Organisationen sowie lokale Verwaltungen auflösen.
Der Vorsitzende des Komitees der UN-Sonderberichterstatter, Victor Madrigal-Borloz, erhob schwere Vorwürfe gegen die äthiopische Regierung sowie andere am Konflikt beteiligten Milizen. Es gebe Berichte, dass Menschen in Haftlagern der Regierung gefoltert würden. Der Anwalt aus Costa Rica prangerte auch die von allen Konfliktparteien verübte sexuelle Gewalt in dem Konflikt an. Zwischen November 2020 und Juni 2021 hätten mehr als 200 Gesundheitseinrichtungen in Tigray die Behandlung vergewaltigter Frauen gemeldet, darunter viele Minderjährige.
Im November hatte der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed eine Taskforce zur Aufklärung und Aufarbeitung möglicher Verbrechen angekündigt. Laut dem am Freitag diskutierten Resolutionsentwurf ist dadurch aber keine unabhängige und transparente Aufarbeitung sichergestellt.
Der äthiopische Botschafter bei den UN, Zenebe Kebede, sprach im Menschenrechtsrat von „neokolonialen Mustern“. Äthiopien verteidige seine nationale Souveränität, das UN-Gremium stärke „die Terroristen“. Die äthiopische Regierung hatte Berichte über Menschenrechtsverletzungen zuletzt immer wieder als koloniale Einmischung abgetan. Der Resolutionsentwurf sieht vor, mögliche Verbrechen aller Parteien, also auch der TPLF und mit ihr verbündeter Milizen, zu untersuchen.
Der 2006 gegründete Menschenrechtsrat umfasst 47 Mitgliedsländer und wacht über die Einhaltung der Menschenrechte. Das Gremium verabschiedet Resolutionen und setzt Sonderberichterstatter und Untersuchungskommissionen ein.