Stichwahl in Chile: Zwischen rechtsnational und links

Stichwahl in Chile: Zwischen rechtsnational und links

Berlin, Santiago de Chile (epd). In Chile steht am Sonntag bei der Stichwahl zum Präsidentenamt eine Entscheidung zwischen linker und rechtsnationaler Politik an. Etwa 14 Millionen Stimmberechtigte sind aufgerufen, zwischen dem früheren Studentenführer Gabriel Boric und dem rechtskonservativen Juristen José Antonio Kast zu wählen. Bei der ersten Runde am 21. November hatte keiner der beiden die erforderliche Mehrheit erhalten. Kast lag mit 28 Prozent der Stimmen knapp vor Boric (25 Prozent). Umfragen sehen die Kandidaten für die Stichwahl fast gleichauf. Der konservative Amtsinhaber Sebastián Piñera konnte sich nicht noch einmal zur Wahl stellen.

Boric und Kast stehen für gegensätzliche Politikmodelle. Der 35-jährige Jurist Boric, der für das linke Bündnis „Apruebo Dignidad“ (Ich stimme der Würde zu) antritt, will die neoliberale Wirtschaftspolitik beenden und die soziale Ungleichheit bekämpfen, unter anderem mit einer Stärkung des staatlichen Bildungs- und Gesundheitssystems. Dafür will er das private Rentensystem in ein staatlich kontrolliertes Fondssystem umbauen, eine Reichensteuer und eine Abgabe für den Abbau von Bodenschätzen einführen.

Sein Kontrahent Kast von der Republikanischen Parte kandidierte bereits 2017 für das Präsidentenamt und hat mit seinem Versprechen für mehr Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität gepunktet. Die Migration will er mit einem drei Meter breiten und tiefen Graben an der nördliche Grenze zu Peru und Bolivien bekämpfen. Die rund eine Million Zugewanderten, hauptsächlich aus Venezuela und Haiti, macht er für Kriminalität und Gewaltakte verantwortlich. Den Einsatz des Militärs im Süden des Landes gegen die Protestaktionen der Ureinwohner verteidigt er als „Anwendung legitimer Gewalt“. Die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die der Kongress jüngst beschloss, will Kast rückgängig machen.

Die Wahlen finden in einem sozial aufgeheizten Klima statt, nachdem vor zwei Jahren Massenproteste gegen die grassierende Ungleichheit die Regierung Piñera zu zumindest geringen Zugeständnissen und einem Referendum über die Verfassung zwangen. Das derzeitige Grundgesetz stammt noch aus der Militärdiktatur (1973-1990) und soll nach dem Willen der Bevölkerung ersetzt werden.