Ex-Verfassungsrichter Papier skeptisch zur Impfpflicht

Ex-Verfassungsrichter Papier skeptisch zur Impfpflicht

Berlin (epd). Der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier äußert Zweifel, dass eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus derzeit mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Es müsse genau geprüft werden, welchem Zweck eine Impfpflicht dient, sagte Papier dem Nachrichtenportal „t-online“ in einem am Freitag veröffentlichten Interview: „Dient sie neben dem Eigenschutz dem Schutz von Leben und Gesundheit großer Teile der Bevölkerung und dem Zweck, das öffentliche Gesundheitswesen vor der völligen Überlastung zu schützen? Dann könnte eine allgemeine Impfpflicht durchaus gerechtfertigt sein, wenn sie insoweit geeignet und notwendig ist. Ich wage aber zu bezweifeln, dass diese Voraussetzungen derzeit hinreichend belegbar sind.“

Er habe Zweifel, ob eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona praktisch in der gebotenen Eile umsetzbar wäre. „Wie wollen Sie denn gegebenenfalls über 20 Millionen Personen zu mehrfachen Impfungen zwingen, die nicht geimpft werden wollen und die keiner Behörde namentlich bekannt sind? Mithilfe der Polizei? Mit Bußgeldern und Erzwingungshaft?“, fragte der Jurist, der von 1998 bis 2010 am Bundesverfassungsgericht tätig und acht Jahre lang dessen Präsident war.

Er glaube zudem, „dass noch lange nicht alle Mittel ausgeschöpft sind, um die Menschen in stärkerem Maße zur Impfung zu bewegen“. Und selbst Impfwilligen könne noch immer aus Kapazitätsgründen die gewünschte Impfung, insbesondere die zur Auffrischung, nicht zeitnah angeboten werden.

Eine allgemeine Impfpflicht würde in Artikel 2, Absatz 2 des Grundgesetzes eingreifen, was nur unter engen Voraussetzungen zulässig sein könne, erläuterte der Jurist. Zum Recht auf körperliche Unversehrtheit gehöre das körperliche Selbstbestimmungsrecht. „Anders ausgedrückt: Jeder kann frei entscheiden, ob er sich therapeutischen oder sonstigen Maßnahmen wie etwa einer Impfung unterzieht, die seinem Schutz oder Wohl dienen“, sagte Papier und fügte hinzu: „Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang einmal von der 'Freiheit zur Krankheit' gesprochen.“

Er selbst sei „ohne jede Einschränkung ein Befürworter des Impfens“. Aber die Gruppe der Ungeimpften sei sehr heterogen. „Da finden sich neben den Gleichgültigen und Bequemen und den Anhängern von Verschwörungsmythen viele Menschen, die schlicht Angst vor der Impfung oder sonstige emotionale Einwände haben. Dem muss die Politik Rechnung tragen“, sagte Papier. Wenn man diese Leute zur Impfung zwingen würde, „könnte man sie dauerhaft in die Feindschaft zu unserem demokratischen Rechtsstaat abdrängen“.