NS-Beschlagnahme jüdischer Umzugsgüter: Kritik an unfairem Ausgleich

NS-Beschlagnahme jüdischer Umzugsgüter: Kritik an unfairem Ausgleich
Provenienz-Forscherin: "Das ist wirklich ein Fass ohne Boden"
Auf einem internationalen Symposium in Bremen haben Forschende über ein weiteres dunkles Kapitel der NS-Zeit diskutiert: Die Beschlagnahme der Umzugsgüter jüdischer Emigranten. Um Licht in das Dunkel zu bringen, ist detektivisches Geschick gefragt.

Bremen (epd). Im Nachkriegsdeutschland hat es offensichtlich keinen angemessenen Ausgleich für von den Nationalsozialisten beschlagahmte jüdische Umzugsgüter gegeben. Es habe kein Interesse an einem fairen Ausgleich gegeben, kritisierte am Donnerstag in Bremen die Provenienzforscherin Susanne Kiel vom Deutschen Schifffahrtsmuseum bei einem internationalen Symposium zum Umgang mit dem Umzugsgut jüdischer Emigrantinnen und Emigranten in europäischen Häfen. Sie habe in diesem Zusammenhang „ein heißes Schamgefühl“.

Als mit Beginn des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 das Auslaufen deutscher ziviler Schiffe nach Übersee unmöglich wurde und in der Folge bereits in die Hafenstädte transportierte Güter nicht mehr verschifft werden konnten, blieben auch die Umzugsgüter jüdischer Auswanderer in den Schuppen der Häfen und Speditionen liegen. In Bremen und Hamburg begannen die Gestapo und später die Finanzdirektionen, die Güter zu beschlagnahmen und öffentlich zu versteigern. Sie seien als „Nichtarier-Auswanderergut“ bezeichnet worden, sagte Kiel.

In den Rückerstattungsverfahren habe die Oberfinanzdirektion die Werte heruntergespielt, „auch Jahre und Jahrzehnte nach Ende des Krieges“, berichtete die Wissenschaftlerin am Beispiel Bremen. Überdies seien im Laufe der Jahre ganze Aktenbestände vernichtet worden, weil Aufbewahrungsfristen abgelaufen seien. Dadurch sei der Informationsfluss zum Verbleib der Güter versandet. Den betroffenen Familien aber „haben wir auch heute noch Rechenschaft abzulegen, was mit ihrem Besitz geschehen ist“, betonte Kiel.

In zwei vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten und am Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven angesiedelten Projekten werden sämtliche erhaltene Informationen zu diesen Vorgängen in Bremen und Hamburg recherchiert, analysiert und in einer Datenbank sichtbar gemacht. Auch in den Häfen von Triest, Genua, Rotterdam und Antwerpen wurde ähnlich wie in Norddeutschland das Umzugsgut jüdischer Emigranten beschlagnahmt und in öffentlichen Versteigerungen im Sinne der Nazis „verwertet“.

Susanne Kiels Bremerhavener Kollegin Kathrin Kleibl schilderte im Verlauf des Symposiums an Beispielen von Kunstwerken aus Hamburger Haushalten das detektivische Geschick, das notwendig ist, um herauszufinden, wem die versteigerten Güter gehören und wohin sie gegangen sind. „Die Erschließung der Käufer erweist sich als sehr schwierig.“ Es seien nicht nur Privatpersonen gewesen, sondern auch Händler, Museen und Bibliotheken.

In Hamburg rechne sie insgesamt mit mindestens 3.000 geschädigten jüdischen Familien, in Bremen mit 800 bis 1.000. „Das ist wirklich ein Fass ohne Boden.“ Bremens Senatorin für Wissenschaft und Häfen, Claudia Schilling (SPD), betonte die Bedeutung der Provenienz-Forschungen für die aktuelle Politik. Sie rief dazu auf, „mit Aufklärung und Wissen Rechtsextremismus und Antisemitismus entgegenzutreten“.