"Kirche darf nicht zur Wagenburg werden"

Offene Kirchentür
©epd-bild / Jens Schulze
„Es wird nicht mehr darauf ankommen, wie viele Gottesdienste sonntags gehalten werden, sondern ob in einer erreichbaren Entfernung gute, anmutige Gottesdienste angeboten werden“, sagte Fechtner. Dann gewinnt die Kirche an Qualität.
Sinkende Mietgliederzahlen
"Kirche darf nicht zur Wagenburg werden"
Die Kirche darf nach den Worten des Mainzer evangelischen Theologen Kristian Fechtner angesichts sinkender Mitgliedszahlen keine Wagenburg-Mentalität entwickeln.
14.07.2021
epd
epd-Gespräch: Jens Bayer-Gimm

„Wir werden nicht verhindern können, dass die Kirche kleiner wird, aber wir werden alles dafür tun, dass sie nicht kleinlicher wird“, zitierte Fechtner den Theologen Heinz Zahrnt in einem Gespräch mit dem epd.

Die Kirche müsse mit beispielhaftem Handeln ihre Haltung und Kompetenz in ethische Konflikte einbringen, etwa in Fragen des Sterbens oder in der Anwaltschaft für Flüchtlinge. Dann gewinne sie gesellschaftliche Akzeptanz. „Wenn die verspielt wird, wird die Volkskirche nicht mehr funktionieren.“ Außerdem müsse die Kirche ihren Erfahrungsschatz für den Einzelnen an Wendepunkten seines Lebens erschließen.

Die Mitgliederzahlen der Kirchen werden nach den Worten des Mainzer Theologen noch schneller schrumpfen als in der Freiburger Studie von 2019 prognostiziert. Die Forscher um den Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen schätzten, dass die beiden großen Kirchen bis 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder und Einnahmen verlieren.

Der Mainzer evangelische Theologe Kristian Fechtner ist der Meinung, die Kirche müsse mit beispielhaftem Handeln ihre Haltung und Kompetenz in ethische Konflikte einbringen

Aktuell führten die durch die Corona-Pandemie erzwungenen Kontaktbeschränkungen dazu, dass mehr kirchenferne Mitglieder über ihren Austritt nachdächten, sagte Fechtner. Außerdem steckten die großen Kirchen seit einigen Jahren in einer Vertrauenskrise, weil sie, etwa beim Umgang mit sexuellem Missbrauch, als reformunwillig oder -unfähig wahrgenommen würden. Mancherorts erscheine nun nicht mehr ein Austritt als begründungspflichtig, sondern das Verbleiben als Mitglied.

Als Konsequenz müssten die Kirchen ihre Aktivitäten verringern, erklärte Fechtner. „Die Frage ist: Wird die Reduktion zu einer Konzentration kirchlicher Arbeit führen?“ Die Kirche werde nicht mehr die ganze Palette ihrer Arbeit an jedem Ort vorhalten können. Sie werde Angebote beispielhaft machen, müsse aber deren Qualität hochhalten. „Es wird nicht mehr darauf ankommen, wie viele Gottesdienste sonntags gehalten werden, sondern ob in einer erreichbaren Entfernung gute, anmutige Gottesdienste angeboten werden“, sagte Fechtner.

Die Zukunft der Kirche liegt nach den Worten des Theologen daher nicht ausschließlich in den Ortsgemeinden. „Eine Unterstützungskultur jenseits der Ortsgemeinden ist unverzichtbar.“ Sonst gingen fachliche Qualität und Innovationskräfte verloren. Außerdem wollten auch Menschen, die wenig oder keinen Kontakt zur Ortsgemeinde hätten, eine kirchliche Begleitung etwa bei der Hochzeit oder Bestattung. „Es braucht Gelegenheitsstrukturen, die quer zu den Ortsgemeinden liegen“, sagte Fechtner. So richteten manche evangelische Landeskirchen Agenturen für kirchliche Feiern an den Wendepunkten des Lebens ein.