Merkel warnt vor steigenden Infektionszahlen und ruft zum Impfen auf

Merkel warnt vor steigenden Infektionszahlen und ruft zum Impfen auf
Die Covid-19-Fallzahlen in Deutschland sind niedrig, immer mehr Menschen lassen sich impfen. Beim Besuch im Robert Koch-Institut mahnt Kanzlerin Merkel aber, dass noch mehr getan werden muss. Eine Impfpflicht lehnt sie ab.

Berlin (epd). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ruft die Menschen in Deutschland eindringlich zur Corona-Impfung auf. Um auch mit aggressiveren Varianten des Virus zurechtzukommen, müssten 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen geimpft sein sowie 90 Prozent der über 60-Jährigen, sagte sie am Dienstag beim Besuch im Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. „Von diesen Impfquoten sind wir noch weit entfernt.“ Ohne deutlich höhere Quoten werde es wieder sehr hohe Covid-19-Fallzahlen geben, warnte Merkel.

Eine Impfpflicht für Gesundheitspersonal wie beispielsweise in Frankreich lehnte sie jedoch ab. Es gebe das Potenzial in der Bevölkerung, um durch Werben Vertrauen zu gewinnen. Aktuell haben mehr als 58 Prozent der Menschen in Deutschland eine Corona-Schutzimpfung erhalten. Etwa 43 Prozent haben den vollständigen Schutz, für den bei den meisten Herstellern zwei Impfungen erforderlich sind. In den vergangenen Tagen ist die Zahl der Impfungen zurückgegangen.

Merkel sagte, bei den über 18-Jährigen hätten mehr als zwei Drittel die Erstimpfung. Bei den über 60-Jährigen sei die Impfbereitschaft besonders hoch. In dieser Altersgruppe hätten 84 Prozent eine Impfung bekommen. RKI-Chef Lothar Wieler fügte hinzu, dass der Anteil der Menschen, die sich überhaupt nicht impfen lassen wollen, im einstelligen Prozentbereich liege. Daher müsse es nun gelingen, durch ein „aufsuchendes Impfangebot“ die Impfung zu den Menschen zu bringen. Als Beispiel nannte er Impfungen in Einkaufszentren.

Seit Beginn der Corona-Pandemie vor etwa eineinhalb Jahren ist das Virus mehrfach mutiert. Die aktuell in Deutschland dominierende Delta-Variante ist vielfach ansteckender als der ursprüngliche Erreger. Mit jeder Mutation droht die Wirksamkeit von Impfungen nachzulassen.

Merkel sagte, die Pandemie habe gezeigt, „dass wir wechselseitig verwundbar sind und dass wir aufeinander angewiesen sind“. Sie sage allen, die sich unsicher seien: „Eine Impfung schützt nicht nur Sie, sondern auch immer jemanden, dem sie nahe stehen, der ihnen wichtig ist, den Sie lieben.“ Sie fügte hinzu: „Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein, umso freier können wir wieder leben.“

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, „es gibt keine Ausreden mehr“. Impfstoff sei genug da, und Termine seien leicht zu bekommen. Jetzt, im Sommer, werde darüber entschieden, wie der Herbst, wie der Winter sein werde.

Innenminister Horst Seehofer (CSU) lehnte am Dienstag eine Impfpflicht ebenfalls ab. Er äußerte die Hoffnung, dass das Bewusstsein in der Gesellschaft, sich impfen zu lassen, noch geschärft werde. Er verwies auf seine eigene Covid-Erkrankung, an der er nach eigenen Worten vier Wochen litt. „Das ist selbst bei einem milden Verlauf eine teuflische Angelegenheit“, sagte er.

Der Mediziner Wolfram Henn, der Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, hatte die Debatte über eine Impfpflicht neu angestoßen mit dem Vorschlag, das Personal in Kitas und Schulen dazu zu verpflichten. Das stößt aber überwiegend auf Ablehnung. Die Ethikrats-Vorsitzende Alena Buyx sagte am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“, eine solche Pflicht sei nicht notwendig, da die Impfraten in Deutschland in diesem Bereich deutlich höher seien als in Ländern wie Frankreich.

Das bayerische Kabinett setzt auf mehr niedrigschwellige Impfangebote. Das Konzept „Impfen to go“ sehe Impfangebote an zahlreichen Orten des Alltags vor, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nach einer Ministerratssitzung in München. So soll es demnächst etwa Impfungen in Supermärkten und Einkaufszentren, Restaurants, Sportvereinen, Schwimmbädern, Moscheen und Jugendzentren geben.

Der Sozialethiker Peter Dabrock sagte dem epd, das Augenmerk müsse jetzt „auf die Impfmüden“ gerichtet werden. Er sei für Anreizverfahren, lehne große Geschenke nach einer Impfung aber ab, sagte der Theologe und frühere Ethikrats-Vorsitzende.