Unterricht im Dauerkrisenmodus

Unterricht im Dauerkrisenmodus
Zwischen Engagement und Überlastung: Viele Lehrer sind am Rand ihrer Kräfte
Erhöhter Arbeitsaufwand, schlechte digitale Technik, Kritik von Eltern, Angst vor Ansteckung und die Sorge um das Wohl ihrer Schützlinge: Viele Lehrkräfte stoßen an ihre Grenzen. Die Nachfrage nach psychosozialer Unterstützung steigt.
17.03.2021
epd
Von Julia Pennigsdorf (epd)

Hannover, Lüneburg (epd). So viele verärgerte Mails wie im Januar hat Laura Pooth, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Niedersachsen, die ganze Pandemie über nicht bekommen. Es war der Tag, an dem Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) verkündete, dass Niedersachsen am Wechselmodell für die Grundschüler festhalte, Eltern ihre Kindern aber auch ganz vom Präsenzunterricht befreien könnten, sofern ihnen das aus Infektionsschutzgründen lieber sei. "Der Unmut war riesig", sagte Pooth. Grundschullehrkräfte müssten seitdem mit drei Unterrichtskonzepten jonglieren: eins für die Kinder in der Schule, eins für die im Homeschooling und ein langfristiges für die, die ganz zu Hause bleiben, sagt Pooth. "Die Mehrbelastung ist enorm."

Alex Lückert ist Klassenlehrer einer ersten Klasse in Hannover. Er ist froh, dass bei ihm fast alle Kinder am Wechselmodell teilnehmen und er nur zwei Unterrichtsvarianten vorbereiten muss. "Aber der Organisationsaufwand ist auch so sehr hoch", berichtet er. Seine Schüler kommen im täglichen Wechsel in den Klassenraum. Die Arbeitsaufträge für den nächsten Tag nehmen sie im Anschluss mit nach Hause. Der 48-Jährige möchte seine Schüler individuell im Blick behalten. Ein Anspruch, der zurzeit schwer zu erfüllen ist. Zusatzaufgaben, eine Extra-Portion Zuwendung, um die persönliche Lernentwicklung zu fördern: "Das benötigt direkten Kontakt", sagt Lückert. In Gedanken ist er immer schon beim nächsten Tag. Vorausschauend organisieren, bloß nichts vergessen - Lückert ist nicht der Typ, der klagt, er sagt aber auch: "Mir fällt es schwer, abzuschalten. Mein Nervenkostüm ist dünner geworden."

Jessica Rothe, leitende arbeitspsychologische Dezernentin beim Regionalen Landesamt für Schule und Bildung in Lüneburg, kennt solche Aussagen. "Die Anfragen, die wir erhalten, zeigen, dass sich viele Lehrkräfte aufgrund des erhöhten Arbeitsaufkommens psychisch belastet fühlen", sagt sie. Insbesondere Schulleitungen seien betroffen. "Sie sind es, die mit knappen Ressourcen die jeweiligen Corona-Vorgaben vor Ort umsetzen müssen, und das häufig sehr schnell, oft sogar über das Wochenende", sagt Rothe.

Dass Distanzunterricht Mehraufwand bedeutet, weiß auch Anne Störmer, Berufsschulpastorin und Religionslehrerin an der Albrecht-Thaer-Schule in Celle und seit Mitte Dezember 2020 mit ihren Schülern im Homelearning. "Es geht viel Zeit für Kleinigkeiten verloren", berichtet sie. Alle Lehrinhalte müssten digital aufbereitet werden. Für vieles, das man im Schulalltag mal eben auf Zuruf klären könne, müsse man Mails schreiben oder anrufen. Das gleiche gelte für Korrekturen. "Ich bekomme so viele Rückmeldungen, das kann ich gar nicht alles schriftlich korrigieren." Doch Störmer ist optimistisch. "Ich mache das Beste draus", sagt sie. Dazu gehöre für sie auch, sich digitale Kompetenzen anzueignen. Allerdings spiele die Technik oft nicht mit. Zum Beispiel, wenn sie Schüler in getrennten Gruppenräumen arbeiten lässt. "Da fliegen immer welche aus der Leitung."

Claudia Bax hat mit digitalen Lerntools gute Erfahrungen gemacht. Sie unterrichtet an der Integrierten Gesamtschule "Leonore Goldschmidt Schule" in Hannover-Mühlenberg das Fach "Deutsch als Zweitsprache" und ist Klassenlehrerin einer altersgemischten Sprachlernklasse. Ihre Schüler im Alter zwischen zehn und 17 Jahren trifft sie zweimal täglich per Video. "Das strukturiert ihren Tag", sagt sie. Viel anstrengender als den Unterricht auf Distanz fand Bax die Zeit, in der Präsenzunterricht, Wechselmodell und Distanzlernen ständig wechselten. "Wenn man sich auf das Distanzlernen einlässt und es didaktisch sinnvoll füllt, ist digitales Lernen eine Chance", findet Bax. Voraussetzung sei allerdings, dass sich Lehrer, Schüler und Eltern von Leistungsdruck befreiten. "Das Wichtigste ist doch, dass wir die Kinder wohlbehalten durch diese Pandemie bringen."

Das ist auch Alexander Hoymann ein Herzensanliegen. Er muss dabei aber ohne digitale Technik auskommen. Denn nicht alle seiner Schüler besitzen Computer und Drucker. Der 41-Jährige ist Förderschullehrer in Göttingen. Viele seiner Schüler sprechen nur wenig Deutsch und haben Förderbedarf im Bereich geistige Entwicklung und Lernen. Um den Kontakt dennoch zu halten, schwingt sich Hoymann auf sein Rad. Die Arbeitsmaterialien liefert er persönlich ab oder steckt sie in den Briefkasten. Antworten, Nachfragen, erledigte Aufgaben kamen allerdings grad am Anfang selten zurück. "Sich selber zu organisieren, mussten viele erst einmal lernen." Sorge hat Hoymann, dass ihm Schüler verloren gehen. "Wir müssen schnell wieder zurück zum normalen Unterricht", sagt er.