Schuster: Antijüdische Mythen bei Corona-Protesten nicht hinnehmbar

Schuster: Antijüdische Mythen bei Corona-Protesten nicht hinnehmbar
Den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland beunruhigt die Radikalisierung der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Doch nicht alle Demonstranten dürften unter einen Generalverdacht gestellt werden.

Köln (epd). Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, äußert sich besorgt über Radikalisierung und Geschichtsvergessenheit bei den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. "Wer die Situation heute mit Vorgängen im Dritten Reich vergleicht, wer sich wie Sophie Scholl fühlt, die ihr Engagement mit dem Leben bezahlen musste, der hat einfach von Historie, von Geschichte, auch von der neueren deutschen Geschichte, keinerlei Ahnung", sagte Schuster dem Deutschlandfunk. Er sprach von einer lauten zum Teil auch radikalen Minderheit, von der man aber nicht sagen könne, dass sie eine Meinungsführerschaft übernommen habe.

Nicht alle, die gegen die Corona-Regeln protestieren, dürften unter einen Generalverdacht gestellt werden. "Dass es Menschen gibt, die sich durch die Einschränkung der persönlichen Freiheit in ihren Grundrechten beschränkt fühlen, ist zumindest in der Theorie für mich nachvollziehbar", sagte er. Wenn aber jene, die wohlmeinend demonstrieren, insbesondere von Rechtsextremen unterwandert und dann antijüdische Verschwörungsmythen vertreten werden, dann habe das für ihn den "noch verständlichen oder vielleicht nachvollziehbaren Bereich" verlassen, sagte Schuster dem Deutschlandfunk in dem am Freitag vorab veröffentlichten Interview

Er selbst halte die Corona-Schutzmaßnahmen der Regierung im Grundsatz für richtig. Ein früherer Lockdown wäre seiner Ansicht nach allerdings sinnvoll gewesen, sagte der Mediziner. "Aber im Nachhinein ist man immer schlauer", fügte er hinzu.

Schuster sieht einen "enthemmteren Antisemitismus in Worten", wie er ihn sich vor einigen Jahren noch nicht habe vorstellen können. Ein Mitschuld daran gab er Funktionären der AfD, von denen einige eine "Wende der Erinnerungskultur um 180 Grad" forderten. Das führe dazu, dass das, was man sich lange Zeit nicht getraut hat zu sagen, "sagbar und salonfähig wird". In der nächsten Stufe würden aus Worten Taten folgen, wie es beim Synagogenanschlag von Halle im Oktober 2019 der Fall gewesen sei.

Nach dem Anschlag habe es andererseits eine "in dieser Form und in diesem Ausmaß nie gekannte Solidarität" mit Jüdinnen und Juden in Deutschland gegeben. Dabei spreche er nicht von den politisch Verantwortlichen, "von denen man eine solche Reaktion vielleicht erwartet, sondern von ganz normalen Bürgern, von Schulklassen". "Das war etwas, was mich wirklich positiv gestimmt hat", fügte Schuster hinzu.

epd kfr