Rörig: Schutz vor Missbrauch ist staatliche Daueraufgabe

Rörig: Schutz vor Missbrauch ist staatliche Daueraufgabe
Der Missbrauchsbeauftragte dringt darauf, dass alle staatlichen Stellen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen an einem Strang ziehen. Die geplanten Strafrechtsverschärfungen reichten nicht aus, sagt Johannes-Wilhelm Rörig. Es gebe viel mehr zu tun.

Berlin (epd). Vierhundert Briefe, ein Appell: Ein Jahr vor der Bundestagswahl dringt der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig auf deutlich mehr Engagement im Kampf gegen sexuellen Missbrauch. Der Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt sei eine "nationale Herausforderung" und zähle zu den Daueraufgaben des Staates, erklärte Rörig am Freitag in Berlin. "Ich will erreichen, dass alle an einem Strang ziehen."

Trotz neuer Herausforderungen durch die Corona-Krise müssten Bund und Länder deutlich mehr tun, verlangte er. Die Androhung härterer Strafen allein reiche nicht aus, um sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche einzudämmen. Das müsse jedem Verantwortlichen bewusst sein, sagte Rörig. Die Politik müsse sich kontinuierlich "mit dieser dunkeln Seite der Gesellschaft befassen". Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sicherte zu, zahlreiche Empfehlungen Rörigs aufgreifen und in den beiden kommenden Jahren mit sieben Millionen Euro eine Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagne finanzieren zu wollen.

Rörig hat seine Empfehlungen in einem "Positionspapier 2020" zusammengefasst und in der vergangenen Woche an sämtliche Länder- und Bundesministerien, Parteien, Fraktionsspitzen und Fachpolitiker versandt. Das Thema Missbrauch erfordere eine ressortübergreifende Strategie, sagte er. Familien-, Gesundheits-, Sozial-, Finanz-, Justiz- und Bildungsressorts müssten eng zusammenarbeiten, damit das Entdeckungsrisiko für Täter erhöht und Betroffenen geholfen werde.

Rörig bekräftigte seine Forderung nach Missbrauchsbeauftragten in allen Bundesländern. Dies sei "unerlässlich", um die Maßnahmen in den Ländern zu koordinieren, sagte er. Rörig hatte die Länder wiederholt für ihre Untätigkeit kritisiert. Bisher gibt es allein in Thüringen und Sachsen-Anhalt solche Beauftragten, das Saarland will folgen.

Die Bundesländer hielten wichtige Schlüssel im Kampf gegen den Missbrauch in der Hand, sagte Rörig. Sie müssten Schulen, Kitas und andere Institutionen zu Schutzkonzepten verpflichten, Hilfs- und Beratungsangebote ausbauen und die Ermittlungsbehörden angemessen ausstatten.

Für sein eigenes Amt schlägt Rörig analog zum Datenschutzbeauftragten eine gesetzliche Verankerung und eine Berichtspflicht gegenüber der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat vor. Im Streit um die Vorratsdatenspeicherung, die derzeit ausgesetzt ist und deren Wiedereinführung Rörig zur Verfolgung von Tätern im Internet befürwortet, müssten der Datenschutz und der Kinderschutz neu justiert werden, verlangte er.

Die Fallzahlen von sexueller Gewalt gegen Kinder gehen seit Jahren nicht zurück. Bei Missbrauchsdarstellungen, der sogenannten Kinderpornografie, steigen sie massiv, im Vergleich zum Vorjahr um 65 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht für Deutschland von einer Million betroffener Kinder und Jugendlicher aus, das sind im Durchschnitt ein bis zwei Schülerinnen und Schüler je Schulklasse.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat nach der Aufdeckung schwerster Missbrauchsfälle in Lügde, Bergisch Gladbach und Münster und auf Druck der Union einen Gesetzentwurf für Strafverschärfungen vorgelegt, der voraussichtlich im Oktober vom Kabinett beschlossen und dann im Bundestag und Bundesrat beraten werden soll. Der Strafrahmen für sexualisierte Gewalt gegen Kinder soll zum Teil deutlich erhöht und Missbrauch grundsätzlich als Verbrechen eingestuft werden.