Muslime in Neu-Delhi in Angst und Schrecken

Muslime in Neu-Delhi in Angst und Schrecken
Mindestens 34 Tote bei blutigen Ausschreitungen in Indien
Unter den Augen der Polizei wurden Muslime in Neu-Delhi geschlagen, Moscheen in Brand gesteckt. In Indien kursiert die Angst vor einem Hindu-Staat, in dem die Rechte von Minderheiten mit Füßen getreten werden. Doch es gibt auch Solidarität.

Dubai, Neu-Delhi (epd). Das kleine Al-Hind-Krankenhaus im Mustafabad-Viertel in Neu-Delhi ist zu einem Notlager geworden. Kinder schlafen auf dem Boden. Familien sitzen erschöpft daneben. "Ich hab zu viel Angst, hier weiter zu leben", sagt Asana Begum dem indischen TV-Sender News18. Sie und weitere Angehörige hatten sich in einem anderen Haus versteckt, als der Mob durch die Straßen zog. Als Asana heimkam, war nichts mehr von ihrem Haus übrig.

Die anti-muslimischen Ausschreitungen sind die schlimmsten religiösen Unruhen in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi seit Jahrzehnten. Die Zahl der Toten stieg am Donnerstag auf 34. Seit fünf Tagen hielten die Ausschreitungen in mehrheitlich muslimischen Wohngebieten an, mehr als 250 Menschen wurden verletzt.

Am Donnerstag kam immer noch Rauch aus abgebrannten Gebäuden. Eine Schule im Brijuri-Viertel wurde angezündet, eine weitere Moschee demoliert. Manche Muslime verbarrikadierten sich, andere flohen mit ein paar Habseligkeiten aus der Stadt. Der frühere indische Ministerpräsident Manmohan Singh sprach von einer "nationalen Schande".

Weiter stand die Polizei wegen ihrer abwartenden Haltung in der Kritik. Ein Richter am Oberlandesgericht von Neu-Delhi, der das Verhalten der Polizei als untragbar bezeichnete, wurde nur Stunden später versetzt. Der Regierungschef von Neu-Delhi, Arvind Kejriwal versprach indes die kostenlose Behandlung von Verletzten und die Verteilung von Essen in den von Gewalt erschütterten Vierteln der Stadt.

Der hindu-nationalistische indische Ministerpräsident Narendra Modi, der während der Unruhen US-Präsident Donald Trump als Staatsgast empfangen hatte, wird beschuldigt, nicht früh genug mit dem Verhängen einer Ausgangssperre reagiert zu haben, um ein gutes Image für Trumps Besuch zu wahren. Die Polizei der 19-Millionen-Stadt untersteht direkt der Zentralregierung und nicht der Landesregierung.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU), der am Donnerstag in Indien eintraf, verurteilte die Gewalttaten. "Toleranz zwischen Ethnien und Religionen muss Grundlage des Zusammenlebens sein”, erklärte der Minister nach seiner Ankunft. Der Minister will das Thema auch bei seinen Treffen am Freitag mit Regierungsmitgliedern ansprechen.

Unter den Augen der Polizei hatten Gruppen von Männern mit Eisenstangen, Stöcken und Molotow-Cocktails tagelang Häuser und Geschäfte von Muslimen in Brand gesteckt und auf Einwohner eingeschlagen. Mindestens fünf Moscheen wurden zerstört. Doch Inder und Inderinnen zeigten auch Solidarität und religiöse Toleranz. Sikh-Tempel öffneten ihre Tore, um Muslimen und anderen Schutz zu bieten. Hinduistische Nachbarn versteckten Muslime vor dem Mob.

Die Unruhen stehen in Zusammenhang mit dem neuen Staatsbürgerschaftsgesetz, das nur Nicht-Muslimen aus Bangladesch, Afghanistan und Pakistan unter bestimmten Bedingungen die indische Nationalität ermöglicht. Kritiker sehen in dem Gesetz einen weiteren Schritt zu einer Hinduisierung Indiens. Laut Verfassung ist der indische Staat aber zu religiöser Neutralität verpflichtet. Andere Gesetzesvorhaben könnten sogar dazu führen, indische Muslime staatenlos zu machen.

Die Gewalt begann am Sonntag, als Hindu-Nationalisten einen Sitzstreik von Gegnern des neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes mit Gewalt auflösen wollten. Rasch bekamen die Straßenkämpfe einen anti-muslimischen Charakter.

Die Mehrheit der Inder und Inderinnen sind Hindus, die etwa 80 Prozent der 1,4-Milliarden-Nation ausmachen. Die zweitgrößte Religionsgruppe sind die Muslime mit etwa 180 Millionen Menschen, danach folgen Christen mit etwa 25 Millionen, Sikhs mit 19 Millionen und Buddhisten mit 8 Millionen Gläubigen. Die große religiöse Konfliktlinie verläuft jedoch zwischen Hindus und Muslimen.

2002 war es im Bundesstaat Gujarat zu schweren anti-muslimischen Pogromen gekommen. Mehr als 1.000 Menschen starben. Ministerpräsident Modi regierte damals Gujarat. Er wird beschuldigt, die Gewalt gebilligt zu haben. Einige Politiker seiner hindu-nationalistischen Partei BJP waren direkt an den Unruhen beteiligt. Seit die BJP 2014 an die Macht kam, mehren sich in ganz Indien die Übergriffe auf religiöse Minderheiten.