Ex-Bundesverfassungsgerichtspräsident sieht Rechtsstaat bröckeln

Ex-Bundesverfassungsgerichtspräsident sieht Rechtsstaat bröckeln

Kassel (epd). Nach Auffassung des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Hans Jürgen Papier, beginnen in Deutschland Recht und Gerechtigkeit zu bröckeln. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Zukunftsfähigkeit des Rechtsstaates werde immer geringer, sagte Papier am Mittwochabend bei einem Vortrag vor der Juristischen Gesellschaft in Kassel. Erosionserscheinungen des Rechts zeigten sich beispielsweise in der Flüchtlingskrise 2015, beim Mietpreisrecht, bei den sogenannten Cum-Ex-Geschäften der Banken oder auch bei der Beibehaltung des Solidaritätszuschlages.

Die Entscheidung der Bundesregierung, im Jahr 2015 während der Flüchtlingskrise die deutschen Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, sei eine potenzielle Kapitulation des Rechtsstaates gewesen, kritisierte Papier. "Das war eine Bankrotterklärung für das Dublin-III-Abkommen und eine Ignoranz des europäischen Rechtes". Aus dem unverzichtbaren Asylrecht für politisch Verfolgte sei ein "Asylbewerberrecht für jedermann" geworden. Es gebe aber weltweit kein Menschenrecht auf ein Leben in einem Land freier Wahl.

Papier griff auch die Untätigkeit des Staates bei dem Problem der Clankriminalität an. Der Umfang der Parallelgesellschaften etwa in Berlin sei besorgniserregend. Aber auch die seit 2001 weit verbreitete Terrorangst, in deren Folge überzogene Sicherheitsgesetze erlassen wurden, sei eine Gefahr für die Freiheit. "Ein Supergrundrecht auf Sicherheit gibt es nicht", sagte Papier. Wenn die Kraft des Rechtes verloren gehe, sei eine Spaltung der Gesellschaft die Folge.

Auch die Bewegung "Fridays for Future" begehe einen Rechtsbruch, wenn dafür die Schule geschwänzt werde, fuhr Papier fort. Hier werde ein Rechtsbruch gezielt herbeigeführt, um mehr Öffentlichkeit zu erreichen. Für das Anliegen der jungen Menschen zeigte Papier allerdings Verständnis und forderte, im Artikel 20 des Grundgesetzes die Politik zur Nachhaltigkeit und einem generationenübergreifenden Handeln zu verpflichten. Dies betreffe im Hinblick auf die Sicherung der Rente finanzielle und im Hinblick auf den Klimawandel auch ökologische Aspekte.