Ex-Mitglieder der Kohlekommission sehen Kompromiss aufgekündigt

Ex-Mitglieder der Kohlekommission sehen Kompromiss aufgekündigt
Vor einem Jahr wurde nach mühsamen Verhandlungen der Kohlekompromiss erzielt. Vor knapp einer Woche haben Bund und Länder einen Fahrplan zum Ausstieg beschlossen, der davon abweicht. Ehemalige Verhandler warnen vor gesellschaftlichen Großkonflikten.

Berlin (epd). Auf dem Weg Deutschlands aus der Kohle drohen neue Konflikte. Ehemalige Mitglieder der Kohlekommission sehen den vor einem Jahr erzielten Kohlekompromiss nun durch Bund und Länder aufgekündigt. Das erklärten die einstige Vorsitzende Barbara Praetorius und sieben weitere Mitglieder in einer gemeinsamen Stellungnahme am Dienstag. Hintergrund sind die Festlegung eines abweichenden Fahrplans für den Kohleausstieg, die geplante Inbetriebnahme eines neuen Steinkohlekraftwerks und Milliardenentschädigungen für die Betreiber. Dieses Ergebnis schade nicht nur dem Klima, sondern auch dem gesellschaftlichen Klima, sagte Praetorius in Berlin.

Am vergangenen Donnerstag haben sich Bund und Länder auf einen Fahrplan zum Kohleausstieg geeinigt, der noch von Bundestag und Bundesrat abgesegnet werden muss. Die von der Kohlekommission erzielten Kompromisse würden darin vor allem mit Blick auf den Klimaschutz und den Umgang mit den vom Braunkohletagebau betroffenen Menschen "grob verletzt", kritisierten die Klimaexperten in ihrer Stellungnahme. Sie forderten die Parteien im Bundestag auf, den Kohleausstieg bei den parlamentarischen Beratungen wieder auf den im Kohlekompromiss vereinbarten Pfad zurückzuführen.

Denn das aktuelle Vorgehen von Bund und Ländern "diskreditiert nicht zuletzt Prozesse, die gesellschaftliche Großkonflikte durch Kompromissfindung" lösen oder entschärfen könnten, hieß es weiter. Dieser gesellschaftliche Frieden werde nun von Bund und Ländern leichtfertig gefährdet. Arbeitgeber-, Industrievertreter und Gewerkschaften gehörten nicht zu den Unterzeichnern.

Beanstandet wird unter anderem, dass der Abbaupfad in der neuen Vereinbarung nicht mehr "stetig" ist, sondern zu spät zu viele Kraftwerke auf einmal abgeschaltet werden, wie Energieexperte Felix Christian Matthes erläuterte. Dies stehe dem Klimaschutz entgegen und sei auch energiewirtschaftlich unvernünftig. In der Stellungnahme heißt es, dadurch komme es vor 2028 nur zu geringfügigen Kraftwerksabschaltungen und danach zu sehr weitreichenden, um das Ziel von 2030 einzuhalten.

Auch dass das Steinkohlekraftwerk "Datteln 4" in Nordrhein-Westfalen trotz anderslautendem Kohlekompromiss ans Netz gehen soll, stößt auf massive Kritik. Um den vereinbarten Klimaschutzpfad nicht zu verletzen, müssten mindestens die äquivalenten CO2-Mengen eingespart werden. Laut Matthes emittieren zudem die Braunkohlekraftwerke voraussichtlich in dem nun vorgelegten Pfad etwa 40 Millionen Tonnen CO2 mehr als im stetigen Pfad. Das sei so viel wie die bayerische Industrie in vier Jahren verursache.

Die "Insellösung" für den Hambacher Wald wird von den ehemaligen Kommissionsmitgliedern ebenfalls beanstandet: Denn der Erhalt des Forstes werde nicht durch einen rechtzeitigen Stopp der Tagebaugrenze erreicht, sondern der Tagebau werde um den Wald herum fortgeführt. Dies bedeute "die mittelfristige Austrocknung des verbliebenen Waldes und die Zerstörung dahinter liegender Dörfer".

Der Präsident des Umweltdachverbandes Deutscher Naturschutzring, Kai Niebert, beklagte, in der aktuellen Bund-Länder-Einigung seien alle Interessen eingelöst worden "bis auf den Klimaschutz". Er betonte: "Wie kann es sein, dass die Bundesregierung erstens den Klimaschutz und zweitens auch einen mühsam ausgehandelten gesellschaftlichen Kompromiss, der tatsächlich für Frieden sorgen sollte in dieser Gesellschaft, in einer Art von Hasardeuren den ostdeutschen Ministerpräsidenten zum Fraß vorwirft?"

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch forderte die Regierung auf, die Kohlekommissions-Mitglieder zum Gespräch einzuladen. Wenn sie "den Konsens gefährdet sehen, dann muss offen darüber geredet werden". Miersch erklärte zugleich, die von der Kohlekommission und auch im Klimaschutzgesetz geforderte stetige CO2-Emissionsminderung "muss gewährleistet sein".