Chronologie des Missbrauchsskandals in Deutschland

Chronologie des Missbrauchsskandals in Deutschland

Berlin (epd). 2010

- Ende Januar macht der Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes, Missbrauchsfälle an dem katholischen Internat aus den 70er und 80er Jahren öffentlich. In der Folge werden 115 Missbrauchsfälle im Jesuitenorden bekannt, begangen von zwölf Patres. Der Missbrauchsskandal löst deutschlandweit in Kirche und Gesellschaft Erschütterung aus. Zahlreiche weitere Fälle in der katholischen und evangelischen Kirche, an der hessischen Odenwaldschule und anderen Internaten sowie in Sportvereinen und weiteren Einrichtungen werden bekannt.

- Die Bischofskonferenz setzt den Bischof von Trier, Stephan Ackermann, als Beauftragten für das Thema Missbrauch ein. Für die Opfer wird eine Telefon-Hotline eingerichtet, die bis Dezember 2012 erreichbar ist.

- Das Bundeskabinett beschließt am 24. März 2010 die Einrichtung des Runden Tischs "Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich". Parallel beruft die Bundesregierung die Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD). Missbrauchsopfer gründen die Initiative "Eckiger Tisch".

- Im Mai kommt es auf dem Ökumenischen Kirchentag in München zu einem Eklat zwischen Opfer- und Kirchenvertretern. Missbrauchsopfer Norbert Denef fordert "Einsicht in die geheimen Unterlagen des Vatikan", eine Aufhebung der Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch im Zivilrecht sowie eine finanzielle Entschädigung der Opfer.

- Im Juli tritt die evangelische Hamburger Bischöfin Maria Jepsen zurück. Sie übernimmt damit die Verantwortung für Missbrauchsfälle in der evangelischen Gemeinde Ahrensburg bei Hamburg. Dort waren in den 1970er und 80er Jahren Jugendliche von zwei Pastoren missbraucht worden.

- Die Deutsche Bischofskonferenz gibt im August 2010 erstmals Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Missbrauch von Minderjährigen durch Kirchenvertreter heraus.

2011

- Opfer sexueller Gewalt können bei der katholischen Kirche Anerkennungsleistungen beantragen. Bis Oktober 2019 werden nach Angaben der Bischofskonferenz 9,8 Millionen Euro gezahlt.

- Im Juli 2011 vergibt die Deutsche Bischofskonferenz den Auftrag, sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche wissenschaftlich aufzuarbeiten, an das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen. Der Auftrag wird dem Kriminologen Christian Pfeiffer im Januar 2013 wieder entzogen, nachdem dieser kritisiert hatte, die Bischöfe hätten sich vorbehalten, die Studie zu zensieren.

- Im September 2011 trifft Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch Missbrauchsopfer.

- Am 30. November 2011 legt der Runde Tisch zu Kindesmissbrauch seinen Abschlussbericht mit zahlreichen Empfehlungen vor. Unter anderem wird eine Reform des Opferentschädigungsgesetzes angemahnt, die 2019 vom Bundestag verabschiedet wurde. Im Dezember löst der Jurist Johannes-Wilhelm Rörig als neuer Missbrauchsbeauftragter Christine Bergmann ab. Seine Stelle wird im Dezember 2018 entfristet.

2013

- Im Mai wird der Fonds Sexueller Missbrauch eingerichtet, an den Menschen, die im familiären Umfeld sexuelle Gewalt erlitten, Anträge auf Sachleistungen bis zu einer Höhe von 10.000 Euro stellen können, in besonderen Fällen bis zu 15.000 Euro. Ab Dezember gibt es einen zweiten Fonds für Menschen, die in Institutionen sexuelle Gewalt erlitten haben. Finanziert wird das "Ergänzende Hilfesystem" überwiegend vom Bund, einige Länder und die beiden Kirchen beteiligen sich. Auch dieser Fonds wurde inzwischen entfristet.

2014

- Die Bischofskonferenz vergibt erneut den Auftrag für eine Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" an ein Forschungskonsortium unter Leitung von Harald Dreßing vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Beteiligt sind das Kriminologische Institut und das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg sowie der Lehrstuhl für Kriminologie der Universität Gießen.

- Im Mai veröffentlichen die Diakonie Deutschland und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) unter dem Titel "Auf Grenzen achten - Sicheren Ort geben" Arbeitshilfen für Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt.

- Im Oktober verabschiedet die evangelische Nordkirche als Konsequenz aus den Missbrauchsfällen in Ahrensburg einen Zehn-Punkte-Plan, richtet eine Arbeitsstelle für sexualisierte Gewalt, eine Beschwerdestelle und ein Kriseninterventions-Team ein. Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendarbeit müssen ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Zuvor hatte die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im Norden einen 500 Seiten starken Bericht veröffentlicht. Unter anderen müssen sich 14 Pastoren wegen sexueller Handlungen an Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen verantworten.

2015

- Im April schließt die Odenwaldschule, an der einem Bericht zufolge 115 Jungen und 17 Mädchen zwischen 1965 und 1998 missbraucht wurden. Als Täter führte der Bericht 13 Lehrer und Mitarbeiter, 1 Lehrerin und 4 Mitschüler auf.

2016

- Im Januar vereinbart die Bischofskonferenz mit dem Missbrauchsbeauftragten Rörig, bis Ende 2018 in allen katholischen Einrichtungen ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt einzuführen. Es umfasst unter anderem Notfallpläne bei Bekanntwerden von Missbrauch und Schulungen des Personals.

2018

- Im März verabschiedet die evangelische Nordkirche ein Präventionsgesetz gegen Missbrauch von Minderjährigen, dass ein "Abstinenzgebot" festschreibt: Danach haben kirchliche Mitarbeiter eine "professionelle Balance von Nähe und Distanz" zu Kindern und Jugendlichen zu wahren.

- Am 25. September stellt die Bischofskonferenz die lange erwartete Studie zu Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland vor. Sie liefert kein umfassendes Bild des Ausmaßes von Missbrauch, sondern untersuchte Fälle von 1.670 beschuldigten Klerikern, die mehr als 3.600 Kinder und Jugendliche missbraucht haben sollen. Die Studie erkennt verschiedene Muster bei Missbrauch, die sie unter anderem in klerikalen Machtstruktuen, der Sexualmoral des Vatikans und in Teilen auch im Zölibat begründet sehen.

- Im November beschäftigt sich die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erstmals ausführlich mit dem Thema sexueller Missbrauch. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs redet ihrer Kirche ins Gewissen, mehr für Aufklärung und Prävention zu tun. Beschlossen wird unter anderem die Beauftragung eigener Studien zur Aufarbeitung von Missbrauch in der evangelischen Kirche.

2019

- Im Mai streiken katholische Frauen der Initiative "Maria 2.0", um Reformen innerhalb der Kirche anzustoßen. Zu ihren Forderungen gehört auch eine umfassende Aufarbeitung von Missbrauch. Am 1. Dezember starten katholische Kirche und Laien den sogenannten "synodalen Weg". Diskutiert wird über Lehren aus dem Missbrauchsskandal, den Zölibat, die katholische Sexualmoral und die Rolle von Frauen in kirchlichen Ämtern.

- Bei der EKD-Synode wird bekanntgegeben, dass die evangelische Kirche einen eigenen Betroffenenbeirat einsetzt, der die Aufarbeitung begleiten soll. Im Dezember verkündet auch die katholische Bischofskonferenz die Einrichtung eines Betroffenenbeirats. In beiden Kirchen beginnt im Herbst zudem eine Diskussion um die künftige Entschädigung von Missbrauchsopfern.

- Ebenfalls im Dezember schafft Papst Franziskus das sogenannte päpstliche Geheimnis für Missbrauch ab. Damit können kirchliche Unterlagen weltlichen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden. Opfer hatten dies als Maßnahme gegen Vertuschung gefordert.

epd bm/cd/co kfr