Kontroverse über Urteil zu NPD-Wahlplakat

Kontroverse über Urteil zu NPD-Wahlplakat

Gießen (epd). Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen, in dem ein Richter den NPD-Wahlslogan "Migration tötet" als historisch belegt darstellt, erregt Widerspruch. Es sei ein "Skandalurteil", sagte der Rechts- und Politikwissenschaftler an den Universitäten Frankfurt am Main und Kassel, Maximilian Pichl, am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mehrere Medien, zuerst das "RedaktionsNetzwerk Deutschland" und das Rechtsmagazin "Legal Tribune Online", hatten am Wochenende über die Gerichtsentscheidung vom August dieses Jahres berichtet. (AZ: 4 K 2279/19.GI)

Auslöser war eine Klage der NPD gegen die Gemeinde Ranstadt im Wetteraukreis. Die Gemeinde hatte vor der Europawahl im Mai 2019 die NPD-Plakate mit der Aufschrift "Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand - jetzt" abhängen lassen.

Der Einzelrichter kommt zu dem Urteil, dass die Wahlplakate nicht volksverhetzend seien. "Im Hintergrund des Plakates sind deutsche Städte und Orte genannt, an denen es nachweislich zu Gewalt- oder Tötungsdelikten gekommen ist, die von in Deutschland sich aufhaltenden Personen begangen wurden, die nicht Deutsche und damit Ausländer sind", heißt es in der Begründung zu dem im Internet veröffentlichten Urteil. Es handele sich "allenfalls um eine reißerische Darstellung von Geschehnissen" in Deutschland, "bei denen Menschen durch Ausländer (Migranten) ums Leben gekommen sind".

Der Richter bezieht sich außerdem auf Migrationsbewegungen bereits vor Tausenden von Jahren, die teilweise mit "erheblichem tödlichem Ausgang" endeten. "Aus den vorzitierten beispielhaften historischen Wanderungsbewegungen wird deutlich, dass Migration tatsächlich in der Lage ist, Tod und Verderben mit sich zu bringen", heißt es in dem Urteil.

Der Wissenschaftler Pichl sagte, von der juristischen Logik her hätte der Richter diese inhaltlichen Ausführungen gar nicht machen müssen: "Er hatte wohl das Bedürfnis, sich zur Sache zu äußern. Es ist auffällig, dass er das macht." Der Richter übernehme in seiner Argumentation eine "völkische Deutung von Geschichte", argumentiere aber gar nicht unter juristischen Aspekten und beachte gar nicht die Tatsache, dass Flüchtlinge und Migrierende Rechtspositionen haben.

Pressesprecherin Sabine Dörr vom Verwaltungsgericht Gießen sagte dem epd am Montag auf Anfrage, im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit werde es keine "Kommentierung der Entscheidung" geben. Die Gemeinde Ranstadt habe beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof Berufung eingelegt.