Expertin rät: Deutsche IS-Familien mit Kindern schnell zurückholen

Expertin rät: Deutsche IS-Familien mit Kindern schnell zurückholen
21.11.2019
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Hannover, Berlin (epd). Die Extremismus-Expertin Claudia Dantschke hat an die Bundesregierung appelliert, die in Syrien oder der Türkei inhaftierten deutschen IS-Familien mit rund 150 Kindern möglichst bald nach Deutschland zu holen. "Je länger wir warten, desto traumatisierter oder radikalisierter kommen diese Menschen zurück und umso schwieriger wird die Aufgabe, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren", sagte die Leiterin der bundesweit tätigen Beratungsstelle "Hayat" dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Bundesrepublik sei verpflichtet, die Menschen zurückzunehmen - daran könne kein Zweifel bestehen.

In den Lagern und Gefängnissen vor Ort sei die Situation katastrophal. In den Lagern für Frauen und Kinder lebten noch viele Frauen, die extrem radikalisiert seien, erläuterte Dantschke. Mütter, die sich vom IS abwenden wollten, hätten es schwer, ihre Kinder vor diesen Frauen abzuschotten. "Je mehr sie das Gefühl haben, sie werden allein gelassen, desto eher radikalisieren sie sich erneut", sagte sie. In der vergangenen Woche hatte die Türkei begonnen, inhaftierte deutsche IS-Sympathisanten nach Deutschland abzuschieben. Darunter war auch eine Frau aus Niedersachsen.

"Hayat" und andere Beratungsstellen sind Dantschke zufolge in fast allen Fällen mit den in Deutschland verbliebenen Angehörigen der ausgereisten IS-Sympathisanten in Kontakt. Rund 80 Prozent von ihnen hätten sich in den vergangenen Jahren immer einmal wieder bei Eltern, Tanten oder Onkeln gemeldet. "Wir haben also einen guten Einblick in die Familien", sagte sie.

Viele Männer seien in den Kämpfen getötet worden. Die übrigen würden vermutlich zunächst in Untersuchungshaft landen, sagte die "Hayat"-Leiterin. Die Beteiligung der Frauen müsse oft erst geklärt werden. "Es gibt neben Frauen, die für den IS agitiert und Sklavinnen gehalten haben, auch solche, die nur ihre Männer bekocht haben", sagte Dantschke. Die meisten Frauen könnten in Deutschland vermutlich zunächst mit ihren Kindern in Freiheit bleiben.

Über die in Deutschland gebliebenen Verwandten könnten die Beratungsstellen Kontakt zu den Frauen aufnehmen, erläuterte die Expertin: "Wir versuchen, sie zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt zu überreden. Das hat bisher meistens gut funktioniert." "Hayat" hat bereits Erfahrung mit Familien, die vor einigen Jahren selbstständig zurückgekehrt waren. Die Berater arbeiteten mit den Frauen, damit diese sich von der IS-Ideologie distanzieren, ihre Erlebnisse und Taten aufarbeiten und den Ausstieg schaffen könnten.

Vielfach bräuchten auch die Kinder aufgrund von traumatischen Gewalterfahrungen psychologische Hilfe, betonte Dantschke. Sie sollten aber so schnell wie möglich in Kita oder Schule integriert werden. "Das alles ist ein Prozess, der Jahre dauern wird", sagte sie. "Spätestens in der Pubertät werden diese Kinder fragen, wo ihre Väter sind und warum sie in Syrien geboren sind."