Missbrauch: "Betroffene müssen über jeden Schritt mitbestimmen"

Missbrauch: "Betroffene müssen über jeden Schritt mitbestimmen"

Dresden (epd). Erstmals hat eine Betroffene sexuellen Missbrauchs vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gesprochen. "Betroffene müssen über jeden einzelnen Schritt mitbestimmen", sagte Kerstin Claus am Dienstag in Dresden. Claus ist Mitglied im Betroffenenrat des Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung. Sie forderte, dass die Bedürfnisse der Opfer sexualisierter Gewalt in den Mittelpunkt der Aufklärung gestellt werden müssten. Zu oft konzentriere sich die Kirche nach der Anzeige einer Tat auf Täter und Beweise und erhebe die Opfer in den Status eines Zeugen, kritisierte sie.

Aufarbeitung brauche Zeit, sagte Claus. "Aufarbeitung ist kein Sprint, kein 100-Meter-Lauf, sie ist ein Marathon", sagte sie. Taten und ermöglichende Strukturen müssten offengelegt werden, Kirche dürfe die Täter nicht schützen. Claus berichtete über ihre eigenen Erfahrung mit der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs. Der Pfarrer, der sie in ihrer Jugend sexuell missbraucht hatte, hatte den Missbrauch zugegeben. Nach Aussage von Claus' ist er noch immer Pfarrdienst tätig. Die Missbrauchsfälle passierten in der bayerischen Landeskirche, der heute der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm als Landesbischof vorsteht. Claus erinnerte Bedford-Strohm an seinen ein Jahr alten Satz: "Keine Toleranz mit Tätern und Mitwissern." Claus forderte eine klare Haltung der Kirche im Umgang mit Opfern des Missbrauchs.

Zu Beginn ihrer Rede betonte Claus, es sei keine Selbstverständlichkeit, dass sie vor der Synode spreche. "Ich kann nicht verhehlen, dass es kein leichter Schritt ist, hier zu sein", sagte sie. Sie sprach der Synode Lob für die geleistete Arbeit aus. Die Synode der EKD hatte im vergangenen Jahr in Würzburg einen Elf-Punkte-Plan zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt verabschiedet, der unter anderem die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle vorsah. "Sie haben die elf Punkte ernstgenommen", sagte Claus. Sie lobte zudem die Arbeit der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die die Vorsitzende des Beauftragtenrates der EKD ist. Sie sei eine "hervorragende Kämpferin".

In der evangelischen Kirche sind bislang 770 Fälle von sexuellem Missbrauch bekannt. Rund 60 Prozent der Fälle ereigneten sich laut dem Beauftragtenrat in Einrichtungen der Diakonie. Bei der Aufarbeitung arbeitet die EKD mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, zusammen.