Experte: Menschen in Nordsyrien haben Angst vor Dschihadisten

Experte: Menschen in Nordsyrien haben Angst vor Dschihadisten
16.10.2019
epd
epd-Gespräch: Mey Dudin

Berlin (epd). Die Massenflucht der Bevölkerung in Nordsyrien ist laut dem Nahostreferenten der "Gesellschaft für bedrohte Völker", Kamal Sido, auch der großen Angst vor dschihadistischen Milizionären geschuldet. "Es handelt sich um von der Türkei trainierte radikale Islamisten, die schlimmsten Elemente der syrischen Gesellschaft", sagte Sido am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er selbst wisse von mindestens acht Menschen, die auf offener Straße hingerichtet worden seien - darunter auch die junge kurdische Politikerin Hevrin Khalaf, erklärte der Nahostexperte. Sido stammt aus dem nordsyrischen Afrin und hat zahlreiche Kontakte in der Region.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan benutze den Islam als Waffe, um seine Herrschaft durchzusetzen, und verkünde, dass er mit seiner Offensive gegen "die Ungläubigen" vorgehe. "Seine Kämpfer skandieren Gesänge wie 'Chaibar, Chaibar', welcher den Angriff des Propheten Mohammed auf eine jüdische Siedlung glorifiziert", sagte Sido. Sie beschimpften die Kurden als "Agenten des Zionismus und der Amerikaner".

Sido erinnerte an den Einmarsch der türkischen Armee im nordsyrischen Afrin im Januar 2018, das damals von Kurden kontrolliert wurde. "Dort gilt jetzt faktisch das islamische Recht, die Scharia: Kurden, die eine weitere Islamisierung der Region ablehnen, Aleviten, Jesiden, zum Christentum konvertierte Muslime - alle sind fort. Auf der Straße ist keine Frau ohne Kopftuch mehr zu sehen." Er betonte: "Es ist ein Ethnozid, eine Vernichtung der sprachlichen, religiösen und kulturellen Identität der Bewohner." Sido zeigte sich angesichts seiner Aktivitäten mit Blick auf die islamistischen Milizen überzeugt: "Wenn ich denen in die Hände falle, haben sie keine Gnade."

Er kritisierte, dass die Bundesregierung sich nicht stärker zum Schutz der Menschen in Nordsyrien einschalte. Sie lasse die Bevölkerung dort im Stich. Zur Begründung werde stets auf die Nähe zur verbotenen kurdischen Organisation PKK verwiesen, aber "man kann die Vernichtung eines Volkes nicht mit der Gewalt einer Gruppe rechtfertigen".

Auch die Kirchen meldeten sich kaum zu Wort: Sie müssten ihre Stimme deutlich erheben und den moralischen Druck erhöhen, forderte Sido. Nach Angaben des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Hilfe (Ocha) sind seit dem türkischen Einmarsch vor etwa einer Woche mindestens 160.000 Menschen aus ihren Heimatorten geflohen.