"Open Arms" am Limit

"Open Arms" am Limit
Flüchtlinge springen vom Seenotrettungsboot ins Wasser
Die Flüchtlinge auf der "Open Arms" halten die Situation nicht mehr aus: Seit fast drei Wochen leben sie eng an eng an Deck. Die Lage sei "außer Kontrolle", twitterte die Crew. Italiens Innenminister Salvini feiert die Situation als Erfolg.
20.08.2019
epd
Von Christina Denz (epd)

Frankfurt a.M. (epd). Seit fast drei Wochen leben die Flüchtlinge auf engstem Raum an Deck der "Open Arms", jetzt gerät die Situation außer Kontrolle: Am Dienstag sprangen immer wieder Flüchtlinge von dem vor Lampedusa ankernden Schiff, um schwimmend Europa zu erreichen. Mitarbeiter des Rettungsteams und die italienische Küstenwacht versuchten, die Menschen aus dem Wasser zu holen. Die Crew twitterte: "Die Situation ist außer Kontrolle."

Bereits in der Nacht hatte die italienische Küstenwacht acht Flüchtlinge und einen Mitarbeiter aus medizinischen Gründen von Bord geholt und nach Lampedusa gebracht. Am Morgen sprang ein Flüchtling "in Panik" ins Wasser, wie die Crew twitterte. Er habe sich geweigert zurück aufs Schiff zu gehen und sei in Lampedusa in ein Krankenhaus gekommen. Im Laufe des Tages sprangen dem Angaben zufolge weitere elf Flüchtlinge von Bord; fünf von ihnen wurden von der Küstenwacht aufgegriffen und an Land gebracht. Fotos und Filme vom Deck des Schiffs zeigen aufgebrachte und kollabierte Flüchtlinge.

Der Sondergesandte des UN-Menschenrechtskommissariats für das Mittelmeer, Vincent Cochetel, verlangte, die "Open Arms" müsse sofort in den nächstgelegenen Hafen einlaufen. Das sei ein "humanitärer Imperativ" und eine gesetzliche Verpflichtung des internationalen Seerechts.

"Open Arms"-Direktor Oscar Camps bekräftigte, dass das Schiff nicht mehr eine Drei-Tage-Reise zu den Balearen antreten könne. Die Psychologen an Bord hätten eindringlich davor gewarnt, erneut aufs offene Meer zu fahren. Spanien hatte am Vortag dem Schiff erlaubt, einen Hafen auf Menorca oder Mallorca anzusteuern.

Die spanische Verteidigungsministerin Margarita Robles kündigte im Radiosender RNE an, Spanien arbeite mit der EU an einer Lösung. Sie ließ offen, ob die Flüchtlinge ausgeflogen würden, wie dies Camps angeregt hatte. Robles verwies noch einmal darauf, dass bereits sechs EU-Länder, darunter Deutschland, zugesagt hatten, die Flüchtlinge aufzunehmen. Italiens Innenminister Matteo Salvini warf sie vor, ein Menschenleben sei für ihn im Wahlkampf nichts wert. Zugleich wies sie die Forderung von Italiens Transportminister Danilo Toninelli zurück, der "Open Arms" die spanische Flagge zu entziehen, damit das Schiff nicht mehr zu einem Rettungseinsatz im Mittelmeer aufbrechen könne.

Salvini selbst verteidigte seine Haltung in einem Facebook-Post: Er sei überzeugt, dass er mit seinem strikten Nein zum Anlanden der "Open Arms" die Meinung der Mehrheit der Italiener treffe. Er sei "stolz" darauf, was er bisher unternommen habe, "um die Grenzen und die Sicherheit meines Landes zu verteidigen."

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) telefonierte unterdessen mit seinem italienischen Amtskollegen Enzo Moavera. Beide seien sich über die Dringlichkeit einer europäischen Lösung einig, diese müsse für alle Mitgliedsstaaten fair und umsetzbar sein, teilte das Auswärtige Amt mit. Das Thema steht auf der Tagesordnung des EU-Außenminister-Treffens am 29. und 30. August in Helsinki. "Ziel muss es sein, möglichst rasch eine europäische Lösung zu finden, die auf Solidarität und geteilter Verantwortung beruht", sagte Maas.

Die "Open Arms" hatte am 1. August 123 Flüchtlinge und später erneut 39 Menschen aufgenommen. Italien nahm zunächst Schwangere und Kranke, später unbegleitete Minderjährige von Bord.

Auch die Crew der unter norwegischer Flagge fahrenden "Ocean Viking" von "Ärzte ohne Grenzen" und SOS Méditerranée zeigte sich besorgt über die Lage auf der "Open Arms". Die anhaltend ungewisse Situation an Bord könne schwere physische und psychische Folgen für die Geretteten haben, schrieben die Mediziner auf Twitter. Die "Ocean Viking" sucht mit 356 Flüchtlingen an Bord einen sicheren Hafen.