Walter Kohl: Thema Suizid aus der Tabuzone holen

Walter Kohl: Thema Suizid aus der Tabuzone holen

Frankfurt a.M. (epd). Der Unternehmer und Autor Walter Kohl hat dazu aufgerufen, jede Ankündigung eines Suizides ernst zu nehmen. Sätze wie "Das macht der doch eh nicht" oder "Der will doch nur Aufmerksamkeit" seien "dummes Zeug", sagte der Sohn von Altkanzler Helmut Kohl (1930-2017) am Mittwochabend in Frankfurt am Main. Der Unternehmer hatte 2001 seine Mutter durch einen Suizid verloren. Nach der CDU-Spendenaffäre und der Scheidung von seiner ersten Frau versuchte auch er sich das Leben zu nehmen. Die Gesellschaft müsse das Thema Suizid endlich enttabuisieren, forderte der 56-Jährige.

Eine wichtige Rolle dabei spielten Rettungsassistenten, sagte der Coach in einem Vortrag im Rahmen einer Veranstaltungsreihe mit dem Titel "After Work Lectures", einer Fortbildungsreihe der Johanniter Rhein-Main. Rettungsassistenten sollten suizidales Verhalten nicht nur als medizinisches Problem, sondern auch als zwischenmenschliches Thema betrachten und Betroffenen die Scham nehmen. Niemand solle Suizid-Gedanken sofort bewerten, sondern das Gespräch mit Betroffenen suchen, appellierte der Schirmherr des Frankfurter Netzwerks für Suizidprävention, eines Zusammenschlusses von mehr als 70 lokalen und überregionalen Institutionen und Organisationen. Es sei gemeinsame Aufgabe von Politikern, aber auch Journalisten, über Suizid aufzuklären.

Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Uniklinikum Frankfurt, mahnte, in der Medienberichterstattung sei es wichtig, auf eine korrekte Wortwahl zu achten. Oft lese er in Zeitungen von "Selbstmord" oder "Freitod". Die meisten Betroffenen litten an einer psychischen Erkrankung wie Depression, Schizophrenie oder an einer Sucht und könnten nicht frei entscheiden, was sie tun. Gerade der Begriff "Selbstmord" sei zudem negativ konnotiert.

Weltweit sei Suizid nach dem Tod durch Verkehrunfälle die zweithäufigste Todesursache bei 15- bis 29-Jährigen, sagte Reif weiter. In Deutschland nähmen sich Schätzungen zufolge jährlich mehr als 10.000 Menschen das Leben, rund 100.000 weitere versuchten es. Das seien mehr als Unfalltote, Drogentote, Aids-Tote und Opfer von Gewalttaten zusammen.

Besonders häufig versuchten sich junge Menschen umzubringen, davon deutlich mehr Männer, erläuterte Reif. Auch alte Menschen seien extrem gefährdet. Neben psychischen Krankheiten kommen nach den Worten des Psychiaters weitere Faktoren wie Lebenskrisen, finanzielle Probleme und Einsamkeit hinzu. Viele der Opfer seien arbeitslos.

Der Experte forderte, den Zugang zu Suizid-Möglichkeiten möglichst zu verhindern, etwa durch strenge Waffengesetze und entsprechende Baumaßnahmen an Bahnstrecken. In Deutschland stürzten sich jährlich etwa 1.000 Menschen vor den Zug. "Das sind auch 1.000 traumatisierte Lokführer", beklagte Reif.