Anders glauben

Gottesdienst
Anders glauben
Evangelischer Rundfunkgottesdienst aus Schwanenberg
16.07.2017 - 10:05
Über die Sendung

„Anders glauben“ das ist Thema des Gottesdienstes aus der Evangelischen Kirchengemeinde Schwanenberg. Im Mittelpunkt steht das gleichnamige Theaterstück des Autors und Regisseurs Peter Schanz, in dem es um „Reformationsgeschichten vom Niederrhein“ geht. Der Gottesdienst erzählt vom Glück glauben zu können. Wie bewährt sich der Glaube, wenn die Zeiten ernst sind? Wozu hilft der Glaube, wo doch andere anders sind und anders glauben?

 

Es werden Auszüge aus dem Theaterstück zu Gehör gebracht, als Predigt folgen Gedanken der Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie von Pfarrer Robin Banerjee. Er gestaltet auch die Liturgie. Es singt der Kirchenchor der Gemeinde unter der Leitung von Luis Andres Castellanos Jiménz. Die Orgel spielt David Jungen. Als Moderatorin führt Gudrun Moulen durch die Theaterszenen und die Predigt.

 

Das Theaterstück schreiben lassen und auf die Bühne gebracht hat die Gemeinde aus Anlass des Reformationsjubiläums zur eigenen Reformationsgeschichte. Theateraufführungen mit jugendlichen Schauspielerinnen und Schauspielern unter der Regie von Pfarrer Robin Banerjee haben eine feste Tradition in der Kirchengemeinde. Die sechs Aufführungen von „anders glauben“ Ende Juni waren ausverkauft und fanden große Resonanz.

 

Die Kirchengemeinde Schwanenberg ist eine der ältesten evangelischen Gemeinden im Rheinland. Sie wird erstmalig 1522 in einer Urkunde als eine Liegenschaft der Grafschaft Wickrath erwähnt, die sich frühzeitig den protestantischen Gedanken Martin Luthers angeschlossen hatte. Sichtbares Zeichen ist die Schwanenberger Kirche im Zentrum der Gemeinde. Sie trägt zur Südseite hin einen Grundstein aus dem Jahre 1547 und ist mit ihrer einfachen und klar strukturierten Inneneinrichtung ein Kleinod der gotischen Bauweise. Die reformierte Kirchengemeinde Schwanenberg war lange als evangelische Enklave eingeschlossen zwischen ausschließlich katholischen Nachbargemeinden.

Gottesdienst nachhören
Predigt zum Nachlesen

Alles hat seine Zeit

…und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde

Geboren werden hat seine Zeit – sterben hat seine Zeit

Pflanzen hat seine Zeit – ausreißen was gepflanzt ist hat seine Zeit

Töten hat seine Zeit – heilen hat seine Zeit

Abbrechen hat seine Zeit – bauen hat seine Zeit

Weinen hat seine Zeit – lachen hat seine Zeit – klagen hat seine Zeit – tanzen hat seine Zeit

Steine wegwerfen hat seine Zeit – Steine sammeln hat seine Zeit

Herzen hat seine Zeit – aufhören zu herzen hat seine Zeit

Suchen hat seine Zeit – verlieren hat seine Zeit

Behalten hat seine Zeit – wegwerfen hat seine Zeit

Zerreißen hat seine Zeit – zunähen hat seine Zeit

Schweigen hat seine Zeit – reden hat seine Zeit

Lieben hat seine Zeit – hassen hat seine Zeit

Streit hat seine Zeit – Friede hat seine Zeit

 

 

„Anders glauben“ - das Theaterstück hat kein Happy End, aber es führt in die Geschichte, es ringt um den Glauben, es stellt Fragen. Was feiern wir mit der Reformation und wie glauben wir heute? Die Jugendlichen, die das Stück auf die Bühne gebracht haben, haben sich damit auseinandergesetzt.

 

Durch dieses Stück habe ich mir noch einmal genau die Frage gestellt, was ist Reformation eigentlich? Was feiern wir genau? Was ist das genau für mich? So ganz kann ich es noch nicht sagen, aber das Umdenken von einem zwanghaften Glauben zu einem freien Glauben, wo wir uns auch frei entfalten können, das wäre eine Sache.

 

Und dass wir heute kritischer denken als früher. Ich finde es gut, evangelisch zu sein, weil man sozusagen dazu erzogen wird, dass man kritisch denkt. Man hat keine feste Instanz, der man folgt, sondern jeder muss selbst das für sich Richtige finden. Dieses kritische Denken ist ein entscheidendes Merkmal.

 

Mein Glaube zeigt mir auch, dass ich nicht zu schnell die Unterscheidung machen soll zwischen „Schwarz“ und „Weiß“ und mir nicht direkt eine „gute“ oder „schlechte“ Meinung bilden soll, sondern auch einen kritischen Blick auf das Ganze werfen soll. Und auch mit einer Begründung dazu, was genau ich daran gut oder schlecht finde. Es gibt ja nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch Grau.

 

Nicht mehr einer Instanz folgen, kritisch sein, frei sein – was ist das Schöne und was ist das Schwierige an dieser evangelischen Freiheit?

 

Das schwierige an der Freiheit ist, dass man sich erstens selber eine Meinung bilden muss. Dass sie nicht vorgegeben wird. Und zweitens, dass man auch selber sein Leben gestalten muss. Dass es nicht vorgegeben ist, wie ich leben soll. Heutzutage ist es so: Man selber gestaltet sein Leben. Und man muss es auch gestalten, weil niemand mehr sagt: das musst du tun. Und das ist die Schwierigkeit. Das Gute ist natürlich, dass man sich dann auch aussuchen kann, was man beruflich machen kann, wo man hinziehen will, wie man leben will, was man anzieht, das ist das Glück und das Gute, dass wir hier haben. Wir können so leben, wie wir uns das wünschen.

 

Das Schöne an der Freiheit ist, dass ich mich äußern kann, dass ich tatsächlich die Möglichkeit habe, mich darzustellen oder meine Meinung zu präsentieren. Schwierig an der Freiheit ist, der andere hat auch seine Freiheit. Das muss ich verstehen. D.h., meine Freiheit hat auch Grenzen. Denn wo ich meine Meinung äußere, da fühlt sich der andere vielleicht angegriffen. Da beginnt die Freiheit des anderen.

 

Tatsächlich sind die Freiheit und der Zusammenhalt ja gefährdet. Die Reformationsgeschichte war voll davon - und unsere Zeit heute ist nicht frei davon. Die Lesung aus dem Predigerbuch hat das vorhin beschrieben: Weinen hat seine Zeit – lachen hat seine Zeit –Lieben hat seine Zeit – hassen hat seine Zeit – Streit hat seine Zeit – Friede hat seine Zeit. Was meint Ihr: Was brauchen wir, wenn die Zeiten ernst sind?

 

Der Glaube ist ein Ankerpunkt  im Leben. Wenn die Welt um einen herum sozusagen zusammenbricht, dann kann man sich auf etwas fokussieren und dort neuen Halt finden. Aber erst mal unabhängig davon, was man glaubt.

Und der Glaube müsste eigentlich verbinden. Ich habe immer mehr Unverständnis dafür, dass manche fanatisch werden und Gewalt verüben oder dass sogar Kriege entstehen aufgrund von Religion. Denn die meisten Glaubensgemeinschaften glauben an einen Gott. Warum glauben wir nicht alle an denselben, wenn er bloß einen anderen Namen hat? Wie gesagt: Der Glaube müsste eigentlich verbinden.

 

Dass Menschen friedlich miteinander leben in einer Region, in einem ganzen Land, das sollte man als Vorbild nehmen. Es ist schade, dass sich das wieder drehen kann. Dass Leute nicht miteinander auskommen. Und dass manche Glaubensrichtungen nicht zusammenleben können. Jeder sollte mit anderen friedlich zusammenleben können.

 

Unsere Erziehung hier von den Eltern, von der Gemeinde, von der Schule hat uns zusammen gestärkt und uns tolerant gemacht. Aber man sieht in den verschiedenen Regionen in Deutschland, dass sich das auch ändern kann.

Wenn die Zeiten ernst sind, setze ich auch auf die Gemeinschaft. Es gibt hier eine starke Gemeinde, die auch in Zeiten, wo es Krisen gibt, stark zusammenhält und nicht auseinanderbricht. Und auch für einzelne da ist.

 

Weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit;

es gibt eine Zeit etwas zu festigen, aber auch eine Zeit zu reformieren,

Zeit zu glauben und Zeit anders zu glauben.

Jetzt frage ich Pfarrer Robin Banerjee, wie er eigentlich damit umgeht. Nochmal: Was brauchen wir, wenn die Zeiten schwer sind?

 

In unserem Stück erlebt der Zuschauer, wie Glauben sich verändert. Wir kennen das: All die Umbrüche im Laufe unserer Lebenszeit, gute Zeiten, schlechte Zeiten. Und dann die drängende Frage: Wie kann das sein? Wie kann die Bibel das einfach so sagen: Es gibt eine Zeit zu hassen, zu kriegen, zu töten, zu sterben. Ich kann die Jugendlichen verstehen, wenn sie dann sagen: Was soll das? Wir dachten immer Gott will das Leben!?

Ich meine, dieser Bibeltext lässt uns Anteil haben an einer weisen Erfahrung. Mitten in unserem Machbarkeitswahn, mitten drin in einer Gesellschafft, in der nur Leistung zählt und Anforderungen zu erfüllen sind, holt uns dieser Text auf den Boden zurück, erdet uns und gibt uns ein gesundes Maß an die Hand: Es liegt nicht alles in deiner Hand und du kannst auch nicht alles verhindern. Es wird dunkle Zeiten in deinem Leben geben, Veränderungen, die dir zu schaffen machen; Grenzen, vor denen du stehen bleiben musst, weil du da nicht drüber kommst.

 

Was kann dann unsere Haltung sein?

 

Im Hier und Heute – jetzt! – da sein! Präsent sein! Also: Die Zeit annehmen, sich ihr stellen. Darauf vertrauen, dass Gott mir jetzt in diesem Moment die Kraft gibt, da zu sein; mir die richtigen Worte gibt, mich das Richtige tun lässt. Ich verlagere mich dann voll und ganz auf die Wahrnehmung, ich höre, ich lasse mich führen. Ich mache ein Beispiel: Wenn z.B. ein geliebter Mensch stirbt, ist es wichtig, da zu sein, sich vom Tod unterbrechen zu lassen, nicht zu flüchten, auch nicht auf Teufel komm raus initiativ zu werden, was machen zu wollen, noch tausend Möglichkeiten versuchen, diesen Menschen zu retten, sondern einfach an seiner Seite bleiben, ihn zu begleiten – und zu spüren: Es entsteht Gemeinschaft, ich werde ruhig, das Vertrauen wächst, dass der von mir Geliebte bei Gott ein neues Leben findet. Das ist Geheimnisvoll: Wir lassen los und werden frei, frei von der Angst vor dem Tod, unser Blick haftet dann nicht auf der Erde, sondern richtet sich auf. Es ist als käme uns der Himmel entgegen.

 

Gott hat schon bei der Erschaffung der Welt einen guten Rhythmus gefunden: Licht und Finsternis hat er uns geschenkt, den Abend und den Morgen. Das fand er gut. Und ein Mensch, der lange geklagt hat, findet in der Bibel zu der wunderbaren Erkenntnis: „Die Güte des Herrn ist alle Morgen neu.“ (Klagelieder 3,22f.) Und wenn es die Güte ist, neben einem Sterbenden auszuhalten.

 

Und auch Jesus war das wichtig im Hier und Jetzt, im Moment ganz präsent zu sein. Schließlich hat er gesagt: „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ (Mt 6,11) Wir sollen auf den heutigen Tag schauen, heute hören, heute überlegen, was zu tun ist. Nicht in die Vergangenheit verfallen – für solche „Gestrigkeit“ ist nämlich das Murren typisch: Früher war alles besser. Und auch die „Morgigkeit“, das Verlieren ins Morgen tut uns nicht gut. Dann verschieben das, was wir jetzt machen sollten: Nach Ostern höre ich auf zu rauchen, im Sommer kann ich den oder den immer noch treffen.

 

Nein, Paulus sagt: „Jetzt ist die Zeit des Heils!“ (2.Kor 6,2)

 

Die Menschen damals zur Zeit der Reformation haben die Zeichen der Zeit verstanden, sie haben zu ihrer Zeit begonnen, den Glauben zu verändern. Sie waren wach, präsent, haben sich führen lassen, von dem, was auf sie zukam und was sie richtig fanden.

 

„Alles hat seine Zeit“, das heißt für mich: Das, was heute passiert, annehmen. Heute präsent sein, ganz da sein. Das gibt mir selbst und jedem Tag eine Qualität, die ich selbst initiieren aber auch einfach nur erfahren kann. Zu spüren: Meine Zeit steht nicht nur in meinen, sondern auch in Gottes Händen.