Schreckensort Babi Jar

Schreckensort Babi Jar
Die Schlucht von Babi Jar wurde vor 75 Jahren zum Massengrab für die Kiewer Juden. Bei einer Gedenkzeremonie erinnerte Bundespräsident Gauck dort an eines der grausamsten Kriegsverbrechen der Deutschen.

Kiew (epd). Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und Bundespräsident Joachim Gauck haben des Massenmordes an den Kiewer Juden während des Zweiten Weltkriegs gedacht. Gauck bezeichnete die deutschen Kriegsverbrechen in der Schlucht von Babi Jar als "Zivilisationsbruch". Bei einer Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Massenhinrichtungen rief er am Donnerstag in der ukrainischen Hauptstadt zur gemeinsamen Erinnerung an die Opfer auf. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk und der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, Robert Singer, nahmen an der Zeremonie teil.

"Babi Jar ist ein einzigartiger Schreckensort", sagte Gauck laut Redetext. Die Massenerschießungen vor 75 Jahren offenbarten "den verbrecherischen Charakter des rasseideologischen Vernichtungskrieges im Osten Europas". Gauck hob hervor, dass die deutsche Wehrmacht an den SS-Verbrechen "maßgeblich beteiligt" gewesen sei. "Viel zu lange hat es gedauert, bis sich diese Einsicht in Deutschland durchgesetzt hat", betonte Gauck.

In der Schlucht von Babi Jar fand am 29. und 30. September 1941 die größte Massenexekution von Juden während des Eroberungs- und Vernichtungskrieges der Nationalsozialisten in der Sowjetunion statt. Angehörige eines SS-Sonderkommandos und zweier Polizeibataillone erschossen dort binnen zwei Tagen mehr als 33.700 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Nach dem Krieg wurde die Schlucht im Nordwesten der ukrainischen Hauptstadt eingeebnet.

Gauck prangert Vernichtungswillen der Nazis an

Gauck erinnerte daran, dass auch Zehntausende sowjetischer Kriegsgefangener, psychisch Kranker, Sinti und Roma und Angehöriger der ukrainischen Nationalbewegung in Babi Jar ermordet wurden. "Sie alle fielen dem nationalsozialistischen Vernichtungswillen zum Opfer", sagte der Bundespräsident. Später hätten die Täter versucht, die Erinnerung an die Verbrechen zu tilgen. Sowjetische Kriegsgefangene hätten die Leichname in Babi Jar ausgraben und verbrennen müssen.

Der Bundespräsident rief dazu auf, die Erinnerung an die deutschen Kriegsverbrechen wachzuhalten. "Wir haben gelernt und werden es nicht vergessen, dass es kein Nachdenken über die deutsche Schuld und die uns gemeinsame Geschichte geben kann, das sich diesen Blick erspart", unterstrich Gauck. Zudem müsse ein gemeinsames Erinnern möglich sein, "weil die Geschichte, um die es geht, eine gemeinsame ist", sagte Gauck, der für eine "grenzüberschreitende, gemeinsame" historische Forschung plädierte.

Babi Jar soll als Erinnerungsort einen festen Platz haben

Neben den von den Nationalsozialisten errichteten Vernichtungslagern müsse Babi Jar als Erinnerungsort einen festen Platz haben, forderte Gauck. "Wir verstehen Auschwitz als Symbol für das Töten in den Vernichtungslagern. Babi Jar steht für das, was dem industriellen Morden vorausging: das abertausendfache Töten durch Erschießen."

Der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, Robert Singer, erinnerte an weitere Schreckensorte in der Ukraine, an denen die Nationalsozialisten während des Krieges Gräueltaten begingen. So hätten SS-Einsatzgruppen in Kamenez-Podolsk 23.600 Juden ermordet, in Nikolajew bei Odessa mehr als 22.000, sagte er laut Redetext. Mit Blick auf den Krieg in Syrien und den Tod von Hunderttausenden Syrern rief Singer die Weltgemeinschaft dazu auf, Lehren aus dem Massaker in Babi Jar zu ziehen.

Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, bezeichnete das Massaker von Babi Jar als "Inbegriff des Schreckens". Es sei ein Skandal, dass die Erinnerung an den Massenmord jahrelang "unterdrückt, verdrängt und verheimlicht" worden sei, sagte Knobloch, die Holocaust-Beauftragte des Jüdischen Weltkongresses ist, bei der Gedenkveranstaltung in Kiew.