Psychiater warnen vor Stigmatisierung psychisch Erkrankter

Psychiater warnen vor Stigmatisierung psychisch Erkrankter
Nach den jüngsten Gewalttaten von offenbar psychisch kranken Tätern warnen Psychiater vor einer Vorverurteilung von Patienten. Ihren Angaben zufolge verstärke die Berichterstattung über die tragischen Ereignisse oft noch bereits bestehende Vorurteile.
25.07.2016
epd
epd-Gespräch: Michaela Hütig

Krefeld, München (epd). Die meisten Gewaltverbrechen würden von Menschen verübt, die nicht unter einer psychischen Störung litten, sagte die Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Psychiater in Krefeld, Christa Roth-Sackenheim, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vorfälle wie der Amoklauf von München und der Selbstmordanschlag in Ansbach sowie die Berichterstattung darüber verstärkten Vorurteile.

"Die meisten Laien unterscheiden ja nicht, welche psychischen Erkrankungen vorliegen können, sondern gehen oft allgemein davon aus, dass man psychische Beschwerden durch Willensanstrengung überwinden kann," sagte die Ärztin. Dass die jüngsten Gewalttaten mit den psychischen Erkrankungen der Tatverdächtigen ursächlich in Zusammenhang stehen könnten, hält die Expertin nicht für wahrscheinlich.

Depressive ziehen sich eher zurück

"Insbesondere bei Depressionen würde man das eher nicht vermuten, da depressive Menschen sich eher zurückziehen als anderen etwas anzutun", erklärte Roth-Sackenheim. Anders könne das bei einer akuten Psychose sein, bei der Betroffene den Bezug zur Realität verlieren. "Stimmen im Kopf können zum Beispiel dann sagen, dass alle anderen einem etwas antun wollen und man sich verteidigen müsse", erläuterte die Psychiaterin. Dass eine solche Erkrankung etwa bei dem Münchner Amok-Täter vorlag, sei aber unwahrscheinlich.

Um einer möglichen Gewaltbereitschaft von psychisch Kranken vorzubeugen, muss nach Angaben der Medizinerin die Behandlung der Grundkrankheit wie einer Psychose oder Suchterkrankung im Vordergrund stehen. Zur Prävention seien frühe Hilfen in der Jugend und das Ermöglichen von gesellschaftlicher Teilhabe wichtig. "Wie bei allen anderen Erkrankungen auch sind die Heilungschancen besser, wenn man sein Krankheitsbild gut kennt, damit gut umgehen kann, sich rechtzeitig Hilfe holt und von der Familie und Umgebung unterstützt wird", erklärte Roth-Sackenheim. Erfreulicherweise seien psychische Erkrankungen heute weniger ein Tabu als noch vor einigen Jahren.

Schweigepflicht der Ärzte nicht lockern

Forderungen nach einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht als Konsequenz aus den jüngsten Gewalttaten wies die Expertin zurück. Bereits heute könnten Ärzte die Schweigepflicht brechen, wenn sie von einer Eigen- oder Fremdgefährdung ausgingen.

Der Amokläufer von München, der am Freitag neun Menschen neun Menschen tötete und sich anschließend selbst erschoss, wurde laut Staatsanwaltschaft wegen sozialer Phobien und Depressionen psychiatrisch behandelt. Der mutmaßliche Selbstmordattentäter von Ansbach, der sich am Sonntag in die Luft sprengte und zwölf Menschen zum Teil schwer verletzte, war nach Angaben der Behörden wegen mehrerer Selbstmordversuche ebenfalls seit längerem in psychiatrischer Behandlung.