Medienrechtler: Böhmermann könnten drei Prozesse drohen

Medienrechtler: Böhmermann könnten drei Prozesse drohen
Dem ZDF-Moderator Jan Böhmermann könnten nach Einschätzung des Medienrechtlers Reinhart Ricker unabhängig voneinander mehrere Gerichtsverfahren bevorstehen.
12.04.2016
epd
Karsten Packeiser (epd-Gespräch)

Mainz (epd) Die Ermittlungen wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts hätten formal nichts mit der vom türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan als Privatmann beantragten Strafverfolgung zu tun, sagte der Medienrechtler Reinhart Ricker am Dienstag in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im ersten Fall würde geprüft, ob die Integrität des türkischen Staates Schaden genommen habe, im zweiten würde es um die persönliche Ehre Erdogans gehen.

Erdogan könnte Zivilklage anstrengen

Nach Einschätzung des emeritierten Mainzer Universitäts-Professors könnte Erdogan außerdem noch eine Zivilklage anstrengen und Schmerzensgeld wegen des "Schmähgedichts" einfordern. Diese Entwicklung hält Ricker für durchaus denkbar: "So, wie es aussieht, scheint Herr Erdogan alle Register zu ziehen." Wie ein mögliches Straf- oder Zivilverfahren enden würde, sei nicht vorhersehbar. Böhmermann könne sich auf die Kunstfreiheit berufen, die vom Grundgesetz noch stärker geschützt sei als die Meinungs- und Pressefreiheit. Allerdings sei nicht klar, ob die Richter dem beleidigenden Gedicht auch den Status von Kunst zusprechen würden.

Dass Böhmermann in seiner Sendung die als unangemessen empfundene türkische Reaktion auf einen früheren satirischen "extra 3"-Beitrag aufgegriffen habe, sei juristisch zunächst unerheblich, sagte Ricker: "Man muss diese Dinge nicht miteinander vermengen." Nur, weil die "extra 3"-Satire von der deutschen Rechtsordnung gedeckt gewesen sei, müsse dies nicht auch "den Exzess rechtfertigen". Er persönlich rate seinen Studenten stets dazu, vorsichtig mit spöttischen Äußerungen zu sein, die "unter die Gürtellinie" zielen oder anderen die geistige Normalität absprechen.

Ricker: Kein vergleichbarer Fall in Erinnerung

Den umstrittenen Paragrafen 103 des Strafgesetzbuchs, der für die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter in schweren Fällen bis zu fünf Jahren Gefängnisstrafe vorsieht, hält Ricker für nicht mehr zeitgemäß. "Das ist ein Anachronismus", sagte er. Historisch stammten die verschärften Strafen wegen Majestätsbeleidigung noch aus einer Zeit, als Deutschland eine wesentlich autoritärere Gesellschaft gewesen sei. Der Paragraf werde praktisch nicht mehr angewandt. Aus seiner langen Berufszeit sei ihm kein mit der Affäre um Böhmermanns Erdogan-Gedicht vergleichbarer Fall in Erinnerung.

Einen Dammbruch-Effekt und eine Welle ähnlicher Prozesse im Interesse ausländischer Politiker für den Fall, dass Böhmermann tatsächlich vor Gericht muss, ist nach Rickers Einschätzung ausgeschlossen: "Unsere Gerichte werden damit professionell umgehen." Außerdem wüssten auch die Medien der Bundesrepublik gut, wie sie sich gegen Angriffe wehren.

Reinhart Ricker war von 1980 bis 2009 Lehrstuhlinhaber am Institut für Publizistik der Universität Mainz. Der renommierte Medienrechtler ist im hessischen Kronberg im Taunus weiter als Rechtsanwalt tätig und lehrt an der Journalistik-Fakultät der Moskauer Lomonossow-Universität.