Zeichnen im Hochsicherheitstrakt

epd-bild/Hanno Gutmann
Das französische Satire-Magazin "Charlie Hebdo" ist am 06.01.2016 zum ersten Jahrestag des Terroranschlags auf die Redaktion als Sonderausgabe erschienen.
Zeichnen im Hochsicherheitstrakt
Ein Jahr nach dem Terroranschlag
auf «Charlie Hebdo»
Der Anschlag erschütterte Frankreich: Am 7. Januar 2015 überfielen Terroristen die Redaktion der Satire-Zeitschrift «Charlie Hebdo» und töteten elf Menschen. Heute arbeiten die Karikaturisten unter Polizeischutz, doch aufgeben wollen sie nicht.
07.01.2016
epd
Martina Zimmermann (epd)

Paris (epd)"Der Attentäter ist noch immer auf der Flucht": Unter diesem Titel kommt am Mittwoch "Charlie Hebdo" in einer Sondernummer mit einer Auflage von einer Million Exemplaren in den Handel. Auf dem Titel: ein bärtiger Gott mit einer Kalaschnikow. Auf 32 Seiten statt der üblichen 16 zeigt die Satirezeitschrift auch Arbeiten der Zeichner Charb, Honoré, Cabu, Wolinski und Tingous, die mit sechs anderen Menschen vor einem Jahr von Terroristen getötet wurden.

"Je suis Charlie"

Am 7. Januar 2015 gegen 11.30 Uhr dringen die radikalen Islamisten Saïd und Chérif Kouachi in die Redaktionsräume von "Charlie Hebdo" ein und töten elf Menschen. Auf der Flucht erschießen sie einen Polizisten, zwei Tage später werden sie im Norden von Paris von einer Anti-Terrortruppe nach einer Geiselnahme in einer Druckerei in Dammartin-en-Goëlle getötet. Die im Jemen beheimatete Terrorgruppe Al Kaida der arabischen Halbinsel AQPA bekennt sich zu dem Attentat. Am Abend versammeln sich in Frankreich die Menschen unter dem Motto "Je suis Charlie".

Aber der Terror ist noch nicht vorbei. Einen Tag später tötet der Franzose Amédy Coulibaly im Pariser Vorort Montrouge eine Polizistin. Am Tag darauf nimmt er die Kunden eines koscheren Supermarkts an der Porte de Vincennes in Paris als Geiseln. Vier Menschen und der Attentäter kommen ums Leben. In einem Video behauptet Coulibaly, im Namen des IS gehandelt zu haben. Er soll den Brüdern Kouachi die Waffen geliefert haben, eine SMS der Brüder auf dem Weg zur Redaktion belegt zumindest einen Kontakt.

Die Redaktion von "Charlie Hebdo" arbeitet heute in einer Art Hochsicherheitstrakt an einem geheimen Ort. Zur Sondernummer steuerte auch Star-Zeichner Luz, der seit September nicht mehr bei der Satirezeitschrift arbeitet, eine Zeichnung bei. In diesen Tagen hört auch Patrick Pelloux auf. Nach zwölf Jahren beim Magazin bringe er es nicht mehr fertig, seine wöchentliche Chronik über das Leben im Krankenhaus zu schreiben, erklärte der Notarzt, der das Attentat überlebte. Der interne Streit um die geschätzten 30 Millionen Euro, die Charlie Hebdo nach dem Attentat einnahm, ist heute offiziell beendet: Vier Millionen Euro, die nach dem Attentat gespendet wurden, sollen an die Opfer gehen.

Zum Jahrestag erinnern zahlreiche Veröffentlichungen und Sondersendungen an den Schock der ersten Januartage. Der Sturmangriff der Antiterrortruppe auf den Geiselnehmer im Supermarkt seien die "längsten Minuten seines Lebens gewesen", erklärte Staatspräsident François Hollande. "L'Humour à mort" lautet ein weiterer Dokumentarfilm von Daniel Leconte, der von "Charlie Hebdo" erzählt. Mit der Dokumentation "Du côté des vivants" erinnert der Fernsehsender France 2 an die Opfer und die Überlebenden.

Terror-Jahr in Frankreich

Im Dezember wurde in Paris der Platz "Georges Wolinski" eingeweiht zum Gedenken an den beliebten Zeichner. Seine Frau Maryse Wolinski wählte für ihr Erinnerungsbuch als Titel die letzten Worte ihres Mannes, die er am 7. Januar 2015 zu ihr ins Badezimmer rief: "Je vais à Charlie" (Ich gehe zu Charlie).

Der Anschlag auf "Charlie Hebdo" bildete den Auftakt für ein Terror-Jahr in Frankreich, das insgesamt 147 Menschen das Leben kostete. Am 13. November verübten islamistische Attentäter Anschläge an mehreren Orten in Paris, unter anderem im Konzertsaal Bataclan und vor einem Fußballstadion. Dabei wurden offiziellen Angaben zufolge 130 Menschen getötet und mehr als 350 verletzt.

In der Rue de Lappe im Bastille-Viertel in der Nähe des Bataclan reihen sich Bars und Kneipen aneinander. Die Gasse ist voller Menschen. "Die Pariser fallen nicht auf die Psychose herein", meint Türsteher Sako vor einer Gaststätte. Für ihn sind die Terroristen keine Muslime, sondern "wilde Barbaren". Auch in der Silvesternacht feiern die Pariser. Sie setzen den Titel von "Charlie Hebdo" nach den Attentaten im November um, der lautete: "Sie haben die Waffen, wir haben den Champagner!" Trotzdem beobachtete Taxifahrer Hakim in der Silvesternacht: "Die Stimmung ist gedrückter als sonst."