Wilde Farbensinnlichkeit

epd-bild / Museum Wilhelm Morgner / Thomas Drebusch
Wilhelm Morgners Bild "Der Holzarbeiter" von 1911 ist in der Sonderausstellung "Zeitenwende - von der Berliner Secession zur Novembergruppe" im Berliner Bröhan-Museum zu sehen.
Wilde Farbensinnlichkeit
Die Zeit um 1900 war eine Ära des künstlerischen Umbruchs überall in Europa. Auch in den Kunsthochburgen im Deutschen Reich brodelte es. Doch nirgendwo brachen die Konflikte so offen aus wie in Berlin, wie eine neue Ausstellung zeigt.
17.11.2015
epd
Sigrid Hoff (epd)

Berlin (epd)Schon ein zeitgenössischer Kritiker bemerkte bei den Secessionisten "wildeste Farbensinnlichkeit". Er konstatierte: "Die Farben sind nicht nur satt, sondern übergeben sich." Und tatsächlich: Hellgrün leuchtet das Wasser in Walter Leistikows Hafenbild von 1895, es blendet schier den Betrachter. Wilhelm Morgner tupft seinen Holzarbeiter mit türkisblauem Hemd im Jahr 1911 in eine Farbfläche von Rot- und Blautönen vor leuchtend gelbem Hintergrund. Hans Brass gibt seinen kubistisch verschachtelten grünen Häusern am Waldrand 1920 den schlichten Titel "Grünes Bild". Mit der Sonderausstellung "Zeitenwende. Von der Berliner Secesssion zur Novembergruppe" feiert das Bröhan-Museum in Berlin ab Donnerstag auch ein Fest der Farben, an denen man sich als Besucher geradezu "besoffen" sehen kann.

Die Schau widmet sich der Revolution in der Kunst von 1898 bis 1919 mit der raschen Abfolge immer neuer Gruppen und Positionen, die sich in Berlin herauskristallisieren. Unter den rund 250 Exponaten sind Gemälde von Walter Leistikow, Max Liebermann, Karl Hagemeister, Philipp Franck und Käthe Kollwitz. Es finden sich aber auch Arbeiten weniger bekannter Künstlerinnen und Künstler wie Julie Wolfthorn und César Klein.

Immer wieder neue Abspaltungen

Für die neue Schau hat das Berliner Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus alle Räume frei gemacht von den Möbeln und Objekten der Dauerausstellung und setzt ganz auf die Bilder. "Wir wollen die gesamte Entwicklung zeigen von der Gründung der Berliner Secession bis zur Politisierung der Kunst in der Novembergruppe", betont Museumsleiter und Kurator Tobias Hoffmann. Es ist seit mehr als 20 Jahren die erste umfassende Ausstellung zu den Berliner Secessionisten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis 1914 prägten die Berliner Szene mit- und gegeneinander rebellierende Künstler in immer wieder neuen Abspaltungen. Den Auftakt machte die 1898 gegründete Berliner Secession, die gegen die konservative Kunstpolitik des Kaiserreichs protestierte. Unter ihrem Präsidenten Max Liebermann organisierte sie eigene Ausstellungen und holte erstmals auch internationale Kunst nach Berlin.

Zwölf Jahre später kam es, initiiert von Georg Tappert, zu neuen Protesten von Künstlern, die von der inzwischen selbst machtvollen Berliner Secession abgewiesen wurden. Zu der "Neuen Secession", die sich bereits 1914 wieder auflöste, gehörten insbesondere expressionistische Künstler wie Max Pechstein, Moriz Melzer und Cesar Klein. 1913 schließlich verließ eine weitere Gruppe die Berliner Secession aus Protest gegen die Ausstellungspolitik des neuen Vorsitzenden Paul Cassirer und gründete die "Freie Secession".

Panorama der künstlerischen Positionen

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Novemberrevolution 1918 trat dann noch die "Novembergruppe" auf den Plan, die über Expressionismus, Futurismus und Kubismus nach einer neuen Kunst für eine neue Gesellschaft strebte. Die große "Kunstausstellung Berlin" 1919 zeigte Vertreter aller vier Gruppierungen und spiegelte so die Entwicklung wie in einem Brennglas.

Dem Bröhan-Museum ist es gelungen, anhand des zeitgenössischen Katalogs fünf höchst unterschiedliche Werke aus dieser Schau aufzutreiben, etwa Philipp Francks impressionistisches "Kind mit Puppe" von 1919, Karl Völkers kubistisch-expressionistische Pietà von 1918 sowie eine ebenfalls 1918 entstandene Grafik von Heinrich Maria Davringhausen. Hier kündigt sich schon die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an.

Die "Zeitenwende"-Ausstellung im Berliner Bröhan-Museum ist ein sich über zwei Etagen erstreckendes Panorama der künstlerischen Positionen, aus denen sich die jeweiligen Protestgruppen speisten und die sich auch mischten. Neben bekannten Werken und Künstlern, darunter zahlreiche der hauseigenen Sammlung zur Berliner Secession, sind einige Neuentdeckungen von Künstlern und Bildern zu machen. Die Fülle der Bezeichnungen verwirrte schon die Zeitgenossen, so dass der Kritiker Oskar Bie den Künstlern empfahl: "Lasst den Blödsinn, stellt einfach gute Bilder aus."