Literaturnobelpreis für Swetlana Alexijewitsch

epd-bild / Thomas Lohnes
Die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch bekommt den Literaturnobelpreis.
Literaturnobelpreis für Swetlana Alexijewitsch
Schwedische Akademie: Leiden und Mut in unserer Zeit ein Denkmal gesetzt
Diesmal war es keine Überraschung: Die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch erhält den Nobelpreis für Literatur. Auf sie hatten die meisten getippt. Fast ihr ganzes Werk stützt sich auf Gespräche mit Zeitzeugen.

Frankfurt a.M., Stockholm (epd)Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an die weißrussische Schriftstellerin und Journalistin Swetlana Alexijewitsch. Sie werde ausgezeichnet für ihr "vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt", sagte die Leiterin der Schwedischen Akademie und Jury-Vorsitzende, Sara Danius, am Donnerstag in Stockholm. Der Preis ist mit acht Millionen Schwedischen Kronen, umgerechnet rund 860.000 Euro, dotiert. Er wird am 10. Dezember verliehen, dem Todestag des schwedischen Industriellen und Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896).

Die 67-jährige Autorin ist vor allem für ihre literarischen Reportagen aus dem tagtäglichen Leben in ihrer Heimat Weißrussland und der Ukraine bekannt. Sie sei "überglücklich" gewesen, als sie von der Ehrung erfahren habe und habe sie "fantastisch" gefunden, sagte Danius nach der Bekanntgabe der Preisträgerin.

"Geschichte der Gefühle"

Swetlana Alexijewitsch zeichne seit über 30 Jahren Individuen der Sowjet- und Postsowjetzeit. Dabei gehe es ihr nicht allein um die Historie, sondern um eine "Geschichte der Gefühle", sagte die Jury-Vorsitzende und Literaturwissenschaftlerin. Ihr erstes Buch "Der Krieg hat kein weibliches Gesicht" (1985, dt. 1987) über russische Front-Frauen im Zweiten Weltkrieg habe eine "große und unbekannte Geschichte" zum Thema. Es sei ein "berührendes Dokument", das einem jede einzelne Figur sehr nahebringe.

Fast das ganzes Werk von Alexijewitsch stützt sich auf Gespräche mit Zeitzeugen. Ihrem Erstlingswerk lagen Hunderte Interviews mit Frauen zugrunde. In der Folgezeit schrieb sie unter anderem "Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft" (dt. 1997) und "Zinkjungen. Afghanistan und die Folgen" (dt. 1992). Zuletzt erschien "Secondhand-Zeit. Leben auf den Trümmern des Sozialismus" (dt. 2013).

Freude über den Nobelpreis herrschte am Donnerstag auch beim Verlag Hanser Berlin, wo die meisten Bücher der Weißrussin auf Deutsch erschienen sind. "Swetlana Alexijewitsch hat ein literarisch wie menschlich einzigartiges Werk geschaffen. Ihre Bücher sind eine Chronik des homo sovieticus, für die sie ein eigenes, zwischen Belletristik und Dokumentation liegendes Genre geprägt hat", sagte Verleger Karsten Kredel. Die Autorin widme sich menschlichen Stimmen, Erfahrungen und Schicksalen, die in den großen kollektiven Utopien keinen Platz hätten.

Einige Jahre im Ausland

Die am 31. Mai 1948 in der Ukraine geborene und später in Weißrussland aufgewachsene Autorin arbeitete von 1967 bis 1972 als Journalistin und Lehrerin. Aufgrund ihrer oppositionellen Haltung wurde sie zunächst an eine Provinzzeitung geschickt, später kehrte sie in die weißrussische Hauptstadt Minsk zurück und schrieb für die Zeitung "Sel'skaja Gazeta".

Als Regimekritikerin kam sie immer wieder in Konflikt mit der Obrigkeit und den Zensurbehörden in Weißrussland. Über zwölf Jahre lebte sie daher im Ausland, unter anderem in Italien, Frankreich, Deutschland und Schweden. Heute ist Alexijewitsch wieder in Minsk zuhause. In Weißrussland dürfen ihre Bücher Hanser zufolge allerdings seit der Machtübernahme Alexander Lukaschenkos nicht verlegt werden.

Für ihr Werk wurde Swetlana Alexijewitsch bereits mit etlichen Preisen geehrt. So erhielt sie unter anderem den Tucholsky-Preis des Schwedischen PEN (1996), den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (1998) und 2013 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Leer gingen diesmal beim Nobelpreis wieder der Japaner Haruki Murakami, der Kenianer Ngugi wa Thiong'o und der US-Amerikaner Philip Roth aus, die erneut zu den Favoriten gehört hatten. Im vergangenen Jahr hatte der Franzose Patrick Modiano die Auszeichnung erhalten, im Vorjahr die Kanadierin Alice Munro.