Wissenschaftler diskutieren über Ursachen und Folgen von "Pegida"

Wissenschaftler diskutieren über Ursachen und Folgen von "Pegida"
Das Phänomen "Pegida" beschäftigt die Sozialwissenschaftler. Wo liegen die Ursprünge der Bewegung? Wie lange wird sie Bestand haben? Die Experten geben unterschiedliche Antworten.

Experten sind uneins, ob sich die islamfeindliche "Pegida"-Bewegung über längere Zeit halten wird. Der Historiker Paul Nolte sieht in der Bewegung ein regional und zeitlich begrenztes Phänomen. "Meine Prognose ist, dass dieser Bewegung keine besonders lange Lebensdauer beschieden sein wird", sagte der Berliner Geschichtsprofessor dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Dagegen erklärte der Chef der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Frank Richter, bei den Menschen habe sich viel angestaut, was jetzt zutage trete. "Was lange gewachsen ist und sich als derart stark erweist, wird nicht schnell verschwinden." Der Soziologe Heinz Bude sieht in der "Pegida"-Bewegung die Folge einer neuen Klassenspaltung.

Meschen mit unterschiedlichen Motiven

Nolte sagte, "Pegida" sei vor allem ein regional in Dresden verankertes Problem, "das sich in anderen, besonders in westdeutschen Städten als Fehlzündung erweist". Den unterschiedlich starken Zulauf zu "Pegida"-Demonstrationen begründet Nolte mit verschieden ausgeprägten zivilgesellschaftlichen Kräften. So erkläre sich, dass im Gegensatz zu Dresden schon in Leipzig das Verhältnis von "Pegida"-Teilnehmern und Gegendemonstranten umgekehrt sei. Er verwies auf die Leipziger Bürgerbewegung in der friedlichen Revolution 1989.

Nolte warnte vor einem nachlassenden Demokratie-Vertrauen in der Bevölkerung. Manche Menschen seien durch die offene Gesellschaft und ihre Diskurse überfordert. Stattdessen bauten sich diese Menschen eine Parallelwelt auf. "Wir sollten aus 'Pegida' lernen, das ernster zu nehmen", sagte der Wissenschaftler.

In Dresden versammle "Pegida" Menschen mit unterschiedlichen Motiven, die sehr verschiedene Probleme mit sich herumtragen, sagte der 54-jährige Frank Richter dem in Berlin erscheinenden "Tagesspiegel" (Samstagsaugabe).

Die "Zukurzgekommenen", das "Dienstleistungsproletariat"

Bei vielen "Pegida"-Anhängern gebe es neben der Unzufriedenheit mit der Politik und den Medien auch einen "angestauten Frust" über Behörden, etwa wenn es um die Praxis der Errichtung neuer Flüchtlingsheime gehe. "Dazu kommt das Gefälle, das sich in Sachsen entwickelt hat zwischen den urbanen Zentren Dresden und Leipzig einerseits und dem ländlichen Raum andererseits."

Der Soziologe Heinz Bude erklärt das "Pegida"-Phänomen mit einer neuen Spaltung der Gesellschaft. "Es gibt ein neues Dienstleistungs-Proletariat, und jeder kennt diese Leute", sagte Bude dem Evangelischen Pressedienst (epd). Daran knüpfe "Pegida" an. Die "Zukurzgekommenen", zum Beispiel auch Mitarbeiter, die im Betrieb nicht vorankommen, hätten heute keine repräsentative Stimme mehr.

"Es gibt keine Partei mehr, die ihnen sagt: Du stehst nicht allein. Früher machten das die SPD und die katholische Kirche." Auch das erkläre den Erfolg von "Pegida" und der Partei AfD ("Alternative für Deutschland"): Sie gäben diesen Menschen eine Stimme.

"Tal der Ahnungslosen"

Der Historiker Heinrich August Winkler sieht im fehlenden Zugang zum Westfernsehen bis 1989 eine Ursache für den starken "Pegida"-Zulauf in Dresden. "Das sogenannte Tal der Ahnungslosen. Das wirkt bis heute nach", sagte Winkler der "Wirtschaftswoche" laut Vorabmeldung vom Samstag. Es sei kein Zufall, dass sich ausgerechnet dort eine zutiefst antiwestliche Bewegung formiert habe.

"Pegida" knüpfe an die Ressentiments und Vorbehalte der Deutschen gegenüber der westlichen Demokratie zu Beginn des 20. Jahrhunderts an. Dem Pluralismus der westlichen Zivilisation habe man damals die Verherrlichung eines starken Staates entgegengehalten. In Dresden waren zu DDR-Zeiten keine westdeutschen Fernsehsender zu empfangen. Die Stadt an der Elbe wurde deshalb spöttisch als "Tal der Ahnungslosen" bezeichnet.