Filmkritik: "Nightcrawler"

Filmkritik "Nightcrawler" mit Jake Gyllenhaal
Foto: epd-bild/Concorde
In "Nightcrawler" avanciert ein Kleinkrimineller (Jake Gyllenhaal) zum erfolgreichen Lieferanten reißerischer Filme für das Boulevard-Fernsehen.
Filmkritik: "Nightcrawler"
Mord in der Morgenshow: Jake Gyllenhaal, sonst eigentlich ein sehr sympathischer Typ, gibt sich in seinem neuen Thriller ziemlich schmierig. Sein "Nightcrawler" ist ein TV-Reporter in L.A., der für ein paar blutige Filmsekunden seine Seele verkaufen würde.
12.11.2014
epd
Jörg Buttgereit

Der arbeitssuchende Lou Bloom (Jake Gyllenhaal) drückt sich ziemlich erlesen aus: "Ich weiß, dass die heutige Arbeitskultur nicht mehr auf jene Jobloyalität abzielt, die früheren Generationen noch versprochen werden konnte. Was ich glaube, Sir, ist, dass diejenigen auf gute Ergebnisse hoffen können, die sich richtig hineinknien in ihre Arbeit, und dass gute Menschen wie Sie, die die Spitze erreicht haben, nicht zufällig dort gelandet sind." Ausgerechnet im Bewerbungsgespräch bei einem Schrotthändler präsentiert sich Bloom so. Daraus, dass er den Text im Internet gefunden und auswendig gelernt hat, macht er keinen Hehl.

In dem neuen Film von Dan Gilroy, "Nightcrawler - Jede Nacht hat ihren Preis", spielt Jake Gyllenhaal einen Typen, dem ethische Skrupel fremd sind. Dass er dem verdutzten Schrotthändler, um dessen Vertrauen in seine Anständigkeit als Arbeitnehmer er buhlt, eben noch ganz offensichtlich selbst gestohlenes Altmetall verhökert hat, scheint für Bloom kein Widerspruch. "Mein Motto lautet: Wenn du im Lotto gewinnen willst, musst du erst das Geld für ein Ticket heranschaffen."

Auf dem Highway wird Lou Bloom später Zeuge eines Autounfalls. Er beobachtet, wie ein Reporter (Bill Paxton) die Rettung des schwer verletzten Fahrers durch die Feuerwehr filmt, und sieht diese Aufnahmen am nächsten Morgen im Frühstücksfernsehen. Lou zählt eins und eins zusammen und kauft sich von dem Erlös eines gestohlenen Fahrrads eine kleine Videokamera. Fortan durchstreift er als "freischaffender Journalist" mit Polizeifunk im Ohr und einem schlecht bezahlten pakistanischen Praktikanten als Navigator das nächtliche Los Angeles.

Er filmt Verkehrsunfälle, Mord und Raubüberfälle. Dabei zahlt sich besonders die Missachtung jeglicher ethischer Grundsätze aus. "Sie haben ein gutes Auge," versichert ihm die Redakteurin (Rene Russo) der Morgennachrichten bei der Durchsicht seiner blutigen Videobilder. Auf welchem Weg er an diese Aufnahmen gekommen ist, wird nicht gefragt.

Unangenehmer Sonderling mit fettigen Haaren ohne moralische Bedenken

Gerade seine eigenartige Kaltschnäuzigkeit, der Mangel an Empathie, macht Lou bald zum erfolgreichsten Bilderlieferanten für die Morgen-Show. Die kleine Videokamera in seiner Hand ist Entschuldigung genug, um mitten auf dem Highway anzuhalten und die eingekeilten Unfallopfer abzufilmen. Der ständige Blick auf den Sucher der Kamera distanziert Lou dabei so sehr von dem realen Geschehen, dass ihm eine Hilfeleistung gar nicht erst in den Sinn kommt. Eher schon hilft er im Sinne des "besseren" Bilds manchmal nach...

Als Zuschauer hat man zusehends Probleme mit dem von einem abgemagerten Jake Gyllenhaal ("Brokeback Mountain", "Zodiac") gespielten Protagonisten. Der sonst so sympathische Schauspieler entpuppt sich als unangenehmer Sonderling mit fettigen Haaren ohne moralische Bedenken. Gyllenhaal stattet seine Figur mit einem entwaffnenden Pragmatismus aus, lässt aber auch Einsamkeit und Sehnsucht nach Anerkennung durchschimmern.

Diese zutiefst menschlichen Bedürfnisse sind es, die den "Nachtkrabbler" trotz alledem als Identifikationsfigur auszeichnen. Lou beobachtet seine Umwelt sehr genau und liefert dem sensationshungrigen Medienbetrieb die geforderten drastischen Bilder, die hohe Einschaltquoten garantieren.

"Nightcrawler" ist eine Aufforderung an den Zuschauer, über die eigene Schaulust zu reflektieren. Vieles im Regiedebüt des Drehbuchautors Dan Gilroy ("Real Steel", "Das Bourne Vermächtnis") scheint zynisch überhöht, ist aber bei näherer Betrachtung kaum übertrieben. Letzten Endes erzählt der Film eine klassisch amerikanische Erfolgsstory. Nur eben mit einem erschreckend realen bitteren Beigeschmack.

Regie und Buch: Dan Gilroy. Mit: Jake Gyllenhaal, Bill Paxton, Ann Cusack, Rene Russo, Riz Ahmed. Länge: 117 Minuten. FSK: ab 16 Jahre.