Filmkritik: "The Cut"

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Filmkritik: "The Cut"
Stumme Anklage: Allein die Ankündigung seines Dramas über den Völkermord an den Armeniern brachte ihm Todesdrohungen ein - jetzt startet Fatih Akins "The Cut" in den deutschen Kinos. Darin macht sich ein stummer Zeuge auf die Suche nach seinen Töchtern.
15.10.2014
epd
Katharina Grimnitz

1915 im Süden des Osmanischen Reiches: Der Schmied Nazaret Manoogian (Tahar Rahim) lebt mit Familie und weiteren Verwandten in einem Haus. Noch herrscht eine Art multikulturelles Idyll, aber Schreckensnachrichten über Deportationen anderswo machen bereits die Runde. Bald wird auch Nazaret zusammen mit einem Cousin von türkischen Milizen zur Zwangsarbeit abgeführt. Beim Straßenbau in der Wüste werden die beiden zu Augenzeugen der bekannten Todesmärsche, sie erleben Willkür, Vergewaltigung und Massaker.

Nazaret entgeht dem Tod nur durch das Missgeschick des Schergen, der ihm die Kehle durchschneiden soll und dabei lediglich die Stimmbänder trifft. Seine gesamte Familie tot glaubend, landet er als Flüchtling in Aleppo, wo ihn ein gütiger arabischer Seifenproduzent bei sich aufnimmt. Nach Kriegsende erfährt er, dass seine beiden Töchter noch am Leben sein könnten, und macht sich auf die Suche, die ihn über Kuba in die USA und dort bis nach North Dakota führen wird.

Menschen unterscheiden sich durch ihre Handlungen

Einmal mehr ist auch bei Fatih Akin der Weg das Ziel. Seine Spannung zieht "The Cut" nicht aus dem von Beginn an ziemlich absehbar erscheinenden Ausgang der Geschichte, sondern daraus, was Nazaret auf seiner Reise widerfährt. Er ist ein passiver Held, durch den Kehlschnitt bald zum Inbegriff des "stummen Zeugen" verurteilt, der das grausame Geschehen um sich herum gewissermaßen speichert.

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Akin gelingt es dabei bestens, die Situationen auf Leben und Tod eindringlich und, was das Besondere dabei ist, ganz ohne ethnische Stereotypie zu schildern. Die religiöse Zugehörigkeit seiner Figuren unterspielt er geschickt. Der Film scheint darauf zu bestehen, dass Menschen sich nicht dadurch unterscheiden, dass sie zu Allah beten oder zu Jesus, sondern allein durch ihre Handlungen. Der syrische Seifenfabrikant, der ihn und andere armenische Flüchtlinge wie selbstverständlich bei sich aufnimmt, tut das als gläubiger Moslem. Später muss Nazaret erleben, dass es Vergewaltigungen an ethnischen Minderheiten auch in den USA gibt.

So ufert die Erzählung zeitlich und geografisch weit über den Rahmen des Genozids von 1915 aus. Aber gerade so kommt etwas von jener besonderen, ungezähmten Emotionalität auf, die Akins stärkste Filme wie "Gegen die Wand" und "Auf der anderen Seite" so prägte. Die Wehmut über die versprengten Schicksale in der Diaspora gehört zur Geschichte genauso wie die grausigen Details der Todesmärsche und -lager. Und so berührt "The Cut" sein Publikum über alle zu hohen Erwartungen hinweg durch Akins mutiges Anliegen, ein zu oft marginalisiertes Verbrechen offensiv als solches zu benennen.

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Deutschland, Frankreich, Polen, Tschechische Republik, Kanada, Russland, Italien 2014. Regie: Fatih Akin. Buch: Fatih Akin, Mardik Martin. Mit: Tahar Rahim, Simon Abkarian, Makram Khoury, Hindi Zahra, Kevork Malikyan, Arsinée Khanijan. Länge: 138 Minuten. FSK: ab 12 Jahre.