Töten wie im Videospiel: Kritik an Obamas Drohnenkrieg

dpa/Lt. Col. Leslie Pratt
Eine Drohne der US Air Force vom Typ MQ-1 Predator.
Töten wie im Videospiel: Kritik an Obamas Drohnenkrieg
Am vergangenen Wochenende versuchten in Washington US-Menschenrechtsorganisationen und Friedensgruppen zum ersten Mal, auf den todbringenden Schattenkrieg namens "drone warfare" (Drohnenkrieg) in Afghanistan und Pakistan aufmerksam zu machen. Es ging aber auch um die Überwachungs- und Ausspähmöglichkeiten im Inland, die die Drohnentechnologie bietet.

Zu Beginn des Drohnengipfels in einer Kirche unweit des Weissen Hauses tauschten die Konferenzteilnehmer die frustrierenden Nachrichten vom Wochenbeginn aus: denn die Obama-Regierung hatte laut "Washington Post" dem Auslandsgeheimdienst CIA grünes Licht zur Ausweitung von Drohnenattacken im Jemen gegeben. Das Weiße Haus lässt künftig sogenannte "signature strikes" zu, das heißt Hinrichtungen von Personen, die bloß im Verdacht stehen, "an Komplotten gegen die USA" beteiligt zu sein. Der Name der "Zielperson" muss nicht nicht einmal bekannt sein. Damit, so die Einschätzung der US-Friedensbewegung, wird die Zahl der mit US-Drohnen Ermordeten schlagartig nach oben gehen. 48 Zivilisten sind seit den ersten bekannt gewordenen Drohnenangriffen im Jemen im Jahr 2009 umgekommen. In Pakistan geht die Zahl in die Hunderte.  

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Über die tödlichen Raketen- und Bombenangriffe von unbemannten Flugkörpern in Afghanistan und in Pakistan legten pakistanische Überlebende Zeugnis ab. Nach der Anhörung von Experten, die die Drohnen-Schattenkriege der USA in rechtlicher, technischer und politischer Hinsicht untersuchten, ging es den Konferenzorganisatoren um eine Diskussion darum, wie die neue Art der Kriegsführung gestoppt oder zumindest behindert werden kann.

Prominenter Teilnehmer war der pakistanische Anwalt Mirsa Schahsad Akbar, dem das US-Aussenministerium nach 14-monatiger Visumsverweigerung die Einreise nun doch erlaubt hatte. Er hat als Vertreter von Hinterbliebenen von Opfern amerikanischer Drohnenangriffe die CIA verklagt und fordert Entschädigung. Akbar berichtete, dass fast alle Raketen, die von den Flugrobotern abgeschossen werden, im Grenzgebiet von Pakistan zu Afghanistan niedergehen.

Hunderte aus der Luft umgebracht

Es handele sich um ein "schwarzes Loch der Information". Denn die Region sei von pakistanischem Militär abgeriegelt. Damit dauere es oft tagelang, bis die Zahl und die Namen der Opfer ermittelt sind. Barack Obamas kürzliche Behauptung, Drohnen würden "in seltenen Fällen" Nebenstehende treffen, kommentierte Akbar mit folgenden Worten: "Entweder Präsident Obama belügt die Bevölkerung, oder er ist zu naiv und glaubt der CIA". Der Anwalt nannte mehrere Beispiele von Familien und sogar einer ganzen Hochzeitsgesellschaft, die per Fernsteuerung massakrierte wurde.   

Mit von der Partei waren US-Anwälte von ehemaligen Guantanamo-Inhaftierten und der Investigativjournalist Chris Woods, der CIA-Drohnenangriffe auf Gruppen von Zivilisten in Pakistan dokumentiert hat. Prominenteste Vertreterin der US-Antikriegsbewegung war die Codepink-Mitgründerin Medea Benjamin. Sie veröffentlichte zeitgleich ein Buch zum Thema Drohnen und Pentagon (Drone Warfare: Killing by Remote Control). Darüberhinaus berichten Bürgerrechtler und Internetexperten über den Einsatz und die Verbreitung von Drohnen bei der Überwachung innerhalb der USA. 

Gegen Drohnenangriffe gehen in den betroffenen Ländern bereits Tausende auf die Straßen. Durch den in Washington sanktionierten Tod aus der Luft wurden Hunderte von Menschen im Irak, Afghanistan, Pakistan, Jemen und Somalia umgebracht. Die USA sind das Herstellerland Nummer eins und der größte Vertreiber von militärischer und ziviler Drohnentechnologie, gefolgt von Israel. Das Militär des Nahoststaats überwacht seit mindestens zehn Jahren die besetzten und abgeriegelten palästinensischen Gebiete mit Drohnentechnologie und vollzieht vom Himmel über dem Gazastreifen aus Hinrichtungen mit Drohnenraketen – sogenannter Kollateralschaden, Massaker an Zivilisten, inbegriffen. An dritter Stelle folgt China.

"Reine Bildschirmarbeit"

Die NATO-Länder sind in diese US-Schattenkriege direkt mit eingebunden. Trotzdem regt sich dort kein nennenswerter Widerstand. Und das, obwohl die Drohnenkriegführung von Protagonisten als eine neue, "saubere" Art der Kriegsführung bezeichnet wird, vergleichbar einem Videospiel. Dies beklagte auf der Konferenz vor allem die 65-Jährige Ann Wright. Sie ist ein pensionierter Armee-Oberst und engagiert sich seit Jahren in der Friedensbewegung. Gegenüber evangelisch.de sagte sie, junge Militärangehörige befänden sich in virtuellen Pilotencockpits und würden von dort aus am Computerbildschirm Hinrichtungen per Mausklick ausführen. Die Arbeit dieser jungen Leute sei reine Bildschirmarbeit. Die Befehle würden per Tastendruck eingegeben, über Satellit an die Drohne weitergereicht, "und von hoch in der Luft aus schlägt der Tötungsroboter zu. Der Tastenbediener arbeitet und lebt Tausende von Kilometern vom Raketeneinschlag und vom Massaker entfernt."

Die Bush-Regierung hatte nach den 911-Anschlägen die Drohnenüberwachung im Nahen Osten, in Südasien und Afrika ausgeweitet und erste "gezielte Tötungen" angeordnet. Unter Obama entwickelten die USA ein weltweites Netz für Drohnenüberwachung und –anschläge. Laut einem Investigativartikel der "Washington Post" Ende Dezember letzten Jahres gibt es inzwischen "Dutzende von geheimen Einrichtungen". Von zwei Operationsbasen innerhalb der USA aus würden Militärs von Videobildschirmen aus Abschusshebel betätigen. In "mindestens sechs Ländern auf zwei Kontinenten” würden die Bilder, die die Drohnen einfangen, von amerikanischem Personal analysiert. Schätzungen gehen davon aus, dass in den letzten Jahren etwa 3000 Menschen geheimen USA-Drohnenangriffen zum Opfer fielen.

US-Bürgerrechtler sind besorgt, dass die Drohnentechnologie auch innerhalb der USA vermehrt eingesetzt wird. Schon jetzt bemühen sich Polizeichefs, die Flugüberwachung, das Department of Homeland Security und der US-Grenzschutz um mehr Mittel zum Erwerb der Technologie. Im Grenzschutz zu Mexiko und von der New Yorker Polizei werden Drohnen bereits eingesetzt. Ungeklärt sind andernorts aber immer noch die Kompetenzen für die Nutzung des Luftraums. Denn den beansprucht die kommerzielle Luftfahrt für sich.