Intersexuelle und das Recht auf Uneindeutigkeit

Intersexuelle und das Recht auf Uneindeutigkeit
Manchmal entscheidet die Natur nicht endgültig, ob ein Mensch als Mann oder Frau auf die Welt kommt. Intersexualität ist weder bizarr noch seltsam. Aber sie kann unter Umständen zur Qual werden. Intersexuelle sollen nun endlich mehr Rechte bekommen.
24.02.2012
Von Johanna Uchtmann

Auf dem Jahrmarkt solle sie es mal versuchen. Das musste sich Christiane V. von ihrem Arzt anhören, als der herausfand, dass sie Merkmale beider Geschlechter hat. "Da bist du eine Sensation, eine Kuriosität", habe der Mediziner zu der Intersexuellen gesagt. In einem Bericht des Vereins Intersexuelle Menschen schildert die 52-Jährige anonym die Qual ihres Lebens - die keine hätte sein müssen.

Die Bundesregierung hatte den Deutschen Ethikrat Ende 2010 gebeten, Empfehlungen zum Umgang mit Intersexualität zu geben. Der Ethikrat hat am Donnerstag in Berlin seine Stellungnahme vorgestellt. Darin heißt es, dass sich Betroffene in Untergruppen einteilen lassen. Bei einigen Intersexuellen lasse sich das Geschlecht bei der Geburt eindeutig feststellen.

[listbox:title=Mehr im Netz[Stellungnahme des Ethikrates (PDF)##Schattenbericht über Intersexuelle Menschen (PDF)##Formen der Intersexualität##Antrag der Grünen für mehr Rechte (PDF)##Bericht des Vereins Intersexuelle Menschen (PDF)]]

So wäre es auch bei Christiane gewesen, wenn ihre Anzeichen für Intersexualität richtig untersucht worden wären. Aber wegen einer Erkrankung hatte ihr Körper im Mutterleib zu viele männliche Geschlechtshormone produziert, so dass ihre Schamlippen zusammenwuchsen und aussahen wie ein männliches Glied - die Hoden vermutete man einfach im Bauchraum.

Sie wurde deshalb grundsätzlich für einen Jungen gehalten. Tatsächlich aber war ihr Chromosomensatz eindeutig weiblich, sie hatte eine Gebärmutter und Eierstöcke. Nur bemerkt hat das niemand.

Bei anderen ist von Anfang an nichts klar. Diese "uneindeutige Geschlechtlichkeit" liegt vor, wenn es innerlich und äußerlich männliche wie auch weibliche körperliche Merkmale gibt. Der Psychologe Michael Wunder vom Deutschen Ethikrat spricht von "leidvollen psychischen Folgen", von traumatischen Auswirkungen, vom Infragestellen der eigenen Identität.

"Intersexuell zu sein, bedeutet nicht, krank zu sein"

Viele Menschen wollen Klarheit: pro oder contra, ja oder nein, Mann oder Frau. Wenn die Natur dann aber manchmal ein Sowohl-als-auch bietet, neigen manche dazu, es auf Teufel komm raus richten zu wollen. Davon erzählt auch Christiane, bei der im Zuge einer späteren Operation die Frage der sexuellen Zuordnung wieder aufkam. Die Ärzte klärten sie über das erhöhte Krebsrisiko auf, das bei "männlich-weiblichem Mischgewebe" manchmal bestehe. Aus Angst wollte sie sich das Gewebe entfernen lassen. Bei der Operation entdeckten die Mediziner endlich die gesunden, inneren weiblichen Geschlechtsorgane - und entfernten sie vollständig. Richtig aufgeklärt wurde die Patientin darüber nie.

Grob geschätzt eins von 5.000 Neugeborenen kommt nicht ganz eindeutig zur Welt. In Deutschland leben bis zu 10.000 Menschen, die jenseits von männlich und weiblich auf die Welt kamen. "Sie sollten als Teil einer gesellschaftlichen Vielfalt anerkannt werden", sagt Wunder. "Intersexuell zu sein, bedeutet nicht, krank zu sein. Wir sind eine menschliche Varianz", sagte Lucie Veith, Vorsitzende des Vereins Intersexuelle Menschen, bei der Vorstellung der Ergebnisse.

Sie ist dankbar dafür, dass Ethikrat und Regierung dem sensiblen Thema Aufmerksamkeit schenken. Aber mit den Empfehlungen ist sie nicht ganz einverstanden. Der Rat sagt: Bei uneindeutigem Geschlecht sollten die Ärzte abwarten. Eine Operation dürfe allenfalls kommen, wenn der Betroffene alt genug ist, selbst darüber zu entscheiden. "Solche Operationen stellen in unseren Augen (...) eine Grundrechtsverletzung dar", erklärte Wunder.

Steht das Geschlecht bei genauer Untersuchung eigentlich fest, dürften Ärzte nach Ansicht des Ethikrates im Grundsatz schon früher operieren. Das kritisiert Veith: "Menschenrechte sind nicht teilbar. Sie gelten für alle Menschen gleich."

Der Alltag - ein Hürdenlauf

Angst vor den Reaktionen im Bekanntenkreis, permanentes Hadern mit der eigenen Identität, Hemmungen bei einer intimen Beziehung - der Alltag eines Intersexuellen ist wie ein Hürdenlauf. Der Ethikrat stellte auch juristische Empfehlungen vor. Im Personenstandsregister stehen bislang nur die Kategorien "weiblich" oder "männlich" zur Auswahl. Sinnvoll sei die zusätzliche Kategorie "anderes". Sie sollten außerdem eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen dürfen, sagte Wunder. Zusätzlich sollte es einen Hilfsfonds für Menschen wie Christiane geben, die noch heute unter falschen Behandlungen leiden.

Auf Antrag der Grünen berät der Bundestag derzeit mehr Rechte für Intersexuelle. Mehrere Bundesministerien sind zuständig - sie sicherten eine sorgfältige Prüfung der Empfehlungen zu. Die Grünen-Abgeordnete Monika Lazar mahnte zur Eile: "Jetzt muss die Bundesregierung tätig werden und die Empfehlungen des Deutschen Ethikrats umsetzen."

dpa