"Landeskirchen und Evangelikale kann man nicht trennen"

"Landeskirchen und Evangelikale kann man nicht trennen"
Seit Beginn des Jahres ist der Präses des landeskirchlichen Gnadauer Verbandes, Pfarrer Dr. Michael Diener, Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA). Er folgte dem Vorstandsvorsitzenden der ERF-Medien, Jürgen Werth. Die Deutsche Evangelische Allianz versteht sich nicht zuletzt als Vertreterin der nach eigenen Angaben über eine Million evangelikaler Christen in Deutschland.
18.01.2012
Die Fragen stellte K. Rüdiger Durth

Erstmals steht mit Ihnen der hauptamtliche Leiter einer großen landeskirchlichen Einrichtung an der Spitze der Deutschen Evangelischen Allianz. Bedeutet Ihre Wahl eine Richtungsänderung der Evangelikalen hin zu der verfassten Kirche?

Michael Diener: Das sehe ich so nicht. Die Deutsche Evangelische Allianz hatte - neben den freikirchlichen Vorsitzenden - schon immer auch Vorsitzende, die fest in ihrer jeweiligen Landeskirche verankert waren. Ganz zu schweigen von ihrem Generalsekretär Harmut Steeb. Ich werte meine Wahl eher als vertrauensvolles Signal des Hauptvorstandes der Allianz, dass man mir - trotz meiner innerkirchlichen Leitungsaufgabe als Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes - zutraut, für Landes-und Freikirchler gleichermaßen sprechen zu können und die jeweiligen Anliegen angemessen zu vertreten. Und dieses Vertrauen verpflichtet mich auch.

Gehören die tiefen Gegensätze zwischen der verfassten Kirche und den Evangelikalen in den zurückliegenden Jahrzehnten endgültig der Vergangenheit an?

Diener: Darf ich zuerst sagen, dass ich mit diesen "Pauschalisierungen" - auf der einen Seite "DIE verfasste Kirche" auf der anderen Seite "DIE Evangelikalen" nur wenig anfangen kann ? Ich glaube, das Bild ist auf beiden Seiten viel, viel differenzierter. Die Landeskirchen sind genauso wenig wie die Menschen, die der Allianz nahestehen, monolithische Blöcke. Da gibt es ganz große Unterschiede und dem entsprechend werden die "tiefen Gegensätze" auch sehr unterschiedlich wahrgenommen. Aber insgesamt ist es so, dass das Verhältnis unverkrampfter, vertrauensvoller und einfach "geschwisterlicher" geworden ist. Das freut mich sehr und daran hat der frühere Ratsvorsitzende, Bischof Huber, einen ganz großen Anteil. Und ich würde mir sehr wünschen, dass wir von den Gemeinsamkeiten her die Gegensätze aushalten oder sogar überwinden.

Wo sehen Sie nach wie vor ein Spannungsverhältnis zwischen Landeskirchen und Evangelikalen?

Diener: Wer "evangelikal" sagt, meint damit ein bestimmtes Spektrum des Evangelischen. Das muss jedem klar sein, der glaubt, das ließe sich voneinander trennen. Unterscheiden kann man es, vielleicht muss man es auch, aber trennen kann man beides voneinander nicht. Einer der wesentlichen Punkte in denen diese Unterscheidung greift, ist die hermeneutische Frage. Wie verhält sich die ja auch kirchlicherseits immer wieder betonte umfassende Autorität der Heiligen Schrift zu ihrer gegenwartsbezogenen Auslegung? Aus der Beantwortung dieser Frage ergeben sich fast alle Spannungsfelder. Aktuell könnte ich da die Diskussionen um das Verständnis des Sühnetodes Jesu nennen, aber natürlich auch die bleibenden ethischen Differenzen, etwa in der Bewertung der Homosexualität.

"Keiner hält "Pro Christ" für
'allein seligmachend', aber als Feindbildkarikatur taugt
es ganz gewiss auch nicht!"

 

Versteht sich der dem Pietismus verpflichtete Gnadauer Verband as Brücke zwischen EKD und Evangelikalen?

Diener: Sie betonen mit Recht, dass uns Gnadauern die Bezeichnung "Pietismus" wesentlich treffender erscheint als "evangelikal". Aber zwischen dem, was den Pietismus inhaltlich bestimmt und dem, was heute "evangelikal" genannt wird, gibt es ganz große Schnittmengen. Es ist schon richtig beobachtet, dass im Pietismus "EKD" und "evangelikal" gleichzeitig steckt. Wenn wir da als Brückenbauer helfen können, sehr gerne! Aber ich möchte uns auch nicht überschätzen...

Pfarrer Dr. Michael Diener, Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA). Foto: epd-bild/Martin Seebald  

Die EKD hat mit ihren beiden Synoden in Leipzig 1999 und Magdeburg 2011 mit dem Schwerpunktthema Mission eine zentrale Forderung der Deutschen Evangelischen Allianz erfüllt. Erwarten Sie noch weitere Schritte?

Diener: Bei den sogenannten Missionssynoden von 1999 und 2011 ging es doch nicht darum, "Forderungen der Allianz" zu erfüllen. Da habt doch die evangelische Kirche ihr ureigenstes Anliegen neu entdeckt und aus der jahrzehntelangen "Schmuddelecke" herausgeholt. Das freut uns natürlich ungemein und wir würden uns wünschen, dass das nun auch die Basis der Kirchengemeinden richtig durchdringt - etwa mit dem klasse Projekt "Erwachsen glauben"!

Es wäre auch weiterführend, wenn das gewisse Naserümpfen, das sich bei dem Wort "Evangelisation" oder noch spezifischer etwa bei "Pro Christ" einstellt, einem reflektierten Nachdenken über die notwendige Vielfalt von Mission weichen würde. Nur weil man etwas merkwürdigerweise für "amerikanisch" hält, ist es doch noch nicht disqualifiziert. Keiner hält "Pro Christ" für "allein seligmachend", aber als Feindbildkarikatur taugt es ganz gewiss auch nicht!

Die EKD lehnt die Übernahme von Pastoren ab, die Freie Theologische Hochschulen wie Gießen oder Basel besucht haben. Hat die DEA sich damit abgefunden?

Diener: Wenn Sie nur die freien Theologischen Hochschulen in Basel und Gießen nennen, dann müssen sie doch zur Kenntnis nehmen, dass die Lage inzwischen noch viel komplizierter geworden ist. Was ist mit der CVJM-Hochschule in Kassel, was mit der Hochschule Tabor in Marburg oder der Internationalen Hochschule Bad Liebenzell? Und damit habe ich ja nur die genannt, denen an einer Pastorenübernahme eventuell gelegen sein könnte. Auch die freikirchlichen Hochschulen der Methodisten, Baptisten und freien evangelischen Gemeinden bereichern doch inzwischen die Hochschullandschaft. Frank und frei gesprochen: Ich kann ja teilweise (!) die Position der EKD nachvollziehen, die um die bleibende Anerkennung ihrer theologischen Fakultäten im wissenschaftlichen Betrieb besorgt ist. Aber diese Blockadehaltung wird in der Zukunft einem differenzierten Umgang mit den genannten Hochschulen weichen. Davon bin ich überzeugt. Übrigens ist es nicht so, dass die Absolventen der genannten Hochschulen nichts dringlicher wollen als in den Dienst der Gliedkirchen der EKD. Überwiegend wird für den eigenen Bedarf ausgebildet und der ist vielerorts größer als die Absolventenzahlen.

"Manchmal kann ich mich über

den Unsinn dieser Spekulationen
nur wundern"

 

In der Vergangenheit hat es immer wieder Spekulationen gegeben, die Evangelikalen könnten mit ihrer starken Verankerung in den Freikirchen eine eigene Kirche bilden. Sind diese Spekulationen (oder gar Pläne) endgültig vom Tisch?

Diener: Manchmal kann ich mich über den absoluten Unsinn dieser Spekulationen nur wundern! Die freikirchlichen Freunde der Allianz sind doch längst "Kirche". Wieso sollten die an einer neuen Kirche interessiert sein? Und die landeskirchlichen Freunde der Allianz sind doch nicht "aus Jux und Dollerei" in der Landeskirche, sondern aus tiefer Überzeugung. Wir freuen uns und wir leiden mit unseren Kirchen. Davon unterscheiden würde ich Überlegungen, ob innerkirchlich die Zeit für die Bildung von "Bekenntnisgemeinden" mit eigenen Strukturen (wieder) reif sein könnte. Aber das ist aus den genannten Gründen keine Frage der Deutschen Evangelischen Allianz. Und als Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes sehe ich dazu bis jetzt keinen Auftrag.

Die EKD hat – schon aus finanziellen Gründen – immer wieder vor dem Aufbau von Parallelstrukturen der Deutschen Evangelischen Allianz gewarnt. Ist diese Diskussion beendet?

Diener: Momentan gibt es bei den sogenannten "Parallelstrukturen" kaum Diskussionsbedarf. Vieles hat sich bewährt und die vertrauensvollen Gespräche zwischen den jeweiligen Parallelorganen nehmen eindeutig zu. Mir ist es ganz wichtig, dass wir das konstruktive Miteinander pflegen und uns weniger als Bedrohung denn viel mehr als Bereicherung empfinden.

Ihr Vorgänger Jürgen Werth hat sich dafür ausgesprochen, dass die Deutsche Evangelische Allianz jünger, weiblicher, kommunikativer werden müsse. Sehen Sie das auch so?

Diener: Bevor dieses Zitat sich immer mehr in seine Einzelteile auflöst: Jürgen Werth nannte fünf Adjektive im Komparativ: "frommer, jünger, weiblicher, schneller und kommunikativer". Und ja, diese Ansicht teile ich vollkommen und wir werden auch intensiv an diesen Punkten arbeiten. Als ersten Schritt haben wir etwa unsere Präsenz auf facebook gestrafft und intensiviert. Weiteres wird im Laufe dieses Jahres umgesetzt.

"Gäbe es uns nicht mehr, dann würden
die atheistischen Menschheitsbeglücker

den nächsten Kopf abschlagen"

 

Sind die Pfingstgemeinden für die Deutsche Evangelische Allianz noch ein Problem?

Diener: Diese Frage ist wieder viel zu allgemein: "Die Pfingstgemeinden"... Als ob das pfingstlerische und charismatische Lager der Christenheit durch geschlossene Uniformität auffiele. Das klare Gegenteil ist der Fall und deshalb muss auch immer wieder der Einzelfall über eine Zusammenarbeit entscheiden: Wer die Basis der Deutschen Evangelischen Allianz bejaht, "Sonderfündlein" und Trennendes zurück stellt und sich in der gemeinsamen Praxis dann bewährt, ist willkommen.

Sitzen verfasste Kirche und Allianz angesichts der zunehmenden Säkularisierung und Gottvergessenheit in der Gesellschaft nicht längst in einem Boot?

Diener: Diese letzte Frage ist für mich fast so etwas wie eine Schlüsselfrage! Ich sage eindeutig Ja! Wie sehr wir uns gegenseitig brauchen, werden wir zukünftig noch merken. Und bei allem sicherlich auch spezifisch Kritikwürdigen im Bereich der Allianz muss jedem Christenmenschen, der sich dabei süffisant zurücklehnt oder sogar mitstichelt, klar sein, dass ein gewichtiger Teil der Kritik im Grunde nicht nur auf die Allianz zielt, sondern auf das Christentum als prägende Kraft unserer Gesellschaft. Wir mögen wegen mancher vermeintlich konservativer Positionen leichter angreifbar sein. Gäbe es uns nicht mehr, dann würden die säkularisierten und atheistischen Menschheitsbeglücker eben den nächsten Kopf abschlagen, der sich aus dem Einheitsbrei menschlicher Hybris und Selbstzerstreuung erhebt. Mich prägt da das Niemöller-Wort: "Wenn ich nicht für die anderen schreie, mag keiner mehr da sein, der für mich die Stimme erheben kann".


Dr. Michael Diener (Jahrgang 1962), war von 2005 bis 2009 Dekan des pfälzischen Kirchenbezirks Pirmasens. Er schrieb seine Promotion über den ehemaligen Präses des Gnadauer Verbandes, Walter Michaelis. Seit Herbst 2009 ist er selbst (hauptamtlicher) Präses dieses großen landeskirchlichen Verbandes, der seinen Sitz in Kassel hat, und seit 1. Januar 2012 (ehrenamtlicher) Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), die ihren Sitz in Bad Blankenburg (Thüringen) hat.

K. Rüdiger Durth, Journalist und Theologe, schreibt für evangelisch.de.