Havarie: Kreuzfahrtgesellschaft rückt von Kapitän ab

Havarie: Kreuzfahrtgesellschaft rückt von Kapitän ab
Die Reederei Costa Crociere hat den Kapitän des vor Italien verunglückten Schiffes beschuldigt, mehrere Regeln gebrochen zu haben. An Bord wurde ein weiterer Toter gefunden.

Schweres menschliches Versagen seitens des Kapitäns könnte nach Angaben des Eigners der "Costa Concordia" zur Havarie des Kreuzfahrtschiffes geführt haben. "Es scheint, dass der Kommandant Beurteilungsfehler gemacht hat, die schwerste Folgen gehabt haben", teilte die in Genua ansässige Kreuzfahrtgesellschaft Costa Crociere am Sonntagabend mit. Sie ging damit auf Distanz zu Kapitän Francesco Schettino, der das Schiff mit mehr als 4.200 Menschen an Bord am Freitagabend zu dicht an die Insel Giglio vor der toskanischen Küste gesteuert habe, wo es auf einen Felsen lief und leckschlug.

Sechstes Todesopfer an Bord der "Costa Concordia" gefunden

Es sehe so aus, als seien die Entscheidungen des Kapitäns in der Notsituation nicht den üblichen Regeln von Costa Crociere gefolgt, erklärte das Unternehmen. Zugleich wurde der Vorwurf einiger Passagiere zurückgewiesen, dass bei der Evakuierung in der Nacht zum Samstag nicht genügend Schwimmwesten zur Verfügung gestanden hätten.

Spezialkräfte der Feuerwehr haben an Bord des gekenterten Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" ein weiters Todesopfer entdeckt. Wie die Nachrichtenagentur Ansa am Montagmorgen berichtete, handelt es sich um einen Passagier. Der Tote habe sich auf dem zweiten Deck befunden und eine Schwimmweste getragen. Damit steigt die Zahl der Todesopfer auf sechs. Mindestens 14 Menschen werden noch vermisst, darunter auch vier Deutsche.

Kapitän soll Aufforderung der Küstenwache ignoriert haben

Der 52 Jahre alte Kapitän war bereits am Samstag nach einer Befragung zu den Unglücksumständen festgenommen worden. Ihm droht unter anderem ein Verfahren wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung. Berichten zufolge soll er das Schiff so dicht an die Insel herangesteuert haben, um Touristen im Hafen mit dem Signalhorn grüßen zu können.

Die Kreuzfahrtgesellschaft ging in ihrer Erklärung nicht weiter auf die Vorwürfe ein. "Weitere Kommentare wären zu diesem Zeitpunkt unangebracht", hieß es lediglich. Auch zu Behauptungen, der Kapitän habe das Schiff noch vor den letzten Passagieren verlassen, gab es keine Stellungnahme.

Medienberichten zufolge soll der Kapitän mehrfach von der Küstenwache aufgefordert worden sein, wieder an Bord zu gehen, um die Evakuierung seines Schiffes zu koordinieren. Dies habe er jedoch nicht getan. Auch einen "SOS"-Ruf soll es nicht gegeben haben.

Einzelheiten zum Hergang des Unglücks erhofft man sich von der Auswertung der Blackbox des Schiffes, die ähnlich wie in Flugzeugen Kommunikation auf der Brücke und Steuerbefehle aufzeichnet.

Passagiere widersprechen Darstellung der Reederei

Die Reederei hob unterdessen in ihrer Erklärung die Leistung der Besatzung bei der Evakuierung der Menschen von Bord der "Costa Concordia" hervor. Die Mannschaft habe "tapfer und zügig dabei geholfen, mehr als 4.000 Personen in einer sehr schwierigen Situation in Sicherheit zu bringen", hieß es. Dagegen hatten Passagiere von chaotischen Szenen berichtet und über unzureichende Sicherheitsausrüstung geklagt.

Wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa berichtete, handelt es sich bei den am Sonntag geborgenen Toten um zwei ältere Männer aus Spanien und Italien. Sie hätten noch Schwimmwesten getragen, als Taucher sie in einer Kabine fanden.

Zuvor war ein an den Beinen verletztes Besatzungsmitglied lebend geborgen worden. Der Offizier Marrico Giampetroni hatte in einem teilweise gefluteten Bereich des Schiffes ausgeharrt. "Ich habe einen 36-stündigen Alptraum durchlebt", sagte er nach seiner Rettung. Bereits in den frühen Morgenstunden des Sonntags war ein junges koreanisches Paar, das seine Hochzeitsreise mit der "Costa Concordia" unternehmen wollte, entdeckt und von Spezialkräften der Feuerwehr an Land gebracht worden.

"Wir hoffen weiter, Überlebende zu finden"

Die Suche nach Vermissten soll auch am Montag fortgesetzt werden. Sie wird vor allem durch die extreme Schräglage des 290 Meter langen Schiffes sowie blockierte Türen und Treppenhäuser erschwert. "Wir hoffen weiter, Überlebende zu finden", sagte Küstenwacht-Kapitän Cosimo Nicastro dem Sender tgcom24.

Nach Angaben einer Frau aus dem hessischen Dreieich fehlt auch von ihren Eltern noch jede Spur. "Meine Eltern waren auf der "Costa Concordia", die am Freitag gekentert ist, und seitdem haben wir überhaupt keine Informationen, und sie gelten als vermisst", sagte die Frau am Sonntagabend dem Radiosender Hit Radio FFH. Ein Sprecher der Polizei in Offenbach bestätigte der Nachrichtenagentur dpa, dass eine Vermisstenanzeige vorliegt. Das vermisste Paar aus Mühlheim am Main ist den Angaben zufolge 71 und 72 Jahre alt und war mit einer Reisegruppe aus dem Raum Aschaffenburg unterwegs.

Umweltbelastungen durch Dieselöl befürchtet

Nach einem Abschluss der Such- und Bergungsaktion wird vor allem die Frage nach möglichen Umweltbelastungen für die knapp 2.400 Tonnen Dieselöl in den Tanks der "Costa Concordia" in den Vordergrund treten. Spezialisten sind bereits auf der Insel, und der italienische Umweltminister Corrado Clini hat für diesen Montag eine Gruppe von Fachleuten nach Livorno eingeladen, um das Problem zu erörtern.

Das zuständige Hafenamt in Livorno hat die Kreuzfahrtgesellschaft in einem Mahnschreiben aufgefordert, unter Berücksichtigung der noch laufenden Suchaktionen "das Schiff zu sichern und abzuschleppen". Offen ist, ob es etwa bei stürmischer See weiter abrutschen könnte.

dpa