Trotz Erfolgen in Indien ist Polio noch nicht besiegt

Trotz Erfolgen in Indien ist Polio noch nicht besiegt
Es gibt keine Medizin gegen die Kinderlähmung, nur die Schutzimpfung. Die hilft aber: In Indien hat es seit einem Jahr keinen neuen Fall von Kinderlähmung mehr gegeben. In Indien hat es seit einem Jahr keinen neuen Fall von Kinderlähmung mehr gegeben. Eine Welt ohne Polio ist dennoch nicht in Sicht.
13.01.2012
Von Jan Dirk Herbermann

Seit genau einem Jahr sind in Indien keine neuen Polio-Fälle aufgetreten. Die letzte Infektion wurde offiziell am Freitag vor einem Jahr, am 13. Januar 2011, verzeichnet. Endgültige Gewissheit wird aber erst in einigen Wochen herrschen, wenn alle Laboruntersuchungen über mögliche neue Polio-Fälle ein negatives Ergebnis aufweisen.

"Das ist ein großer Erfolg für Indien und wird dem weltweiten Kampf gegen die Polio einen kräftigen Schub geben", erklärte die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Margaret Chan. Und die Globale Initiative zur Ausrottung der Polio in Genf betonte: "Wenn Indien, das Land mit der zweitgrößten Bevölkerung, die Polio besiegt, sind wir auf dem Weg zu einer Welt ohne Polio einen guten Schritt weiter." In der Initiative arbeiten die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das UN-Kinderhilfswerk UNICEF, die Rotary-Clubs und die US-Regierung zusammen.

Doch muss Indien mit seinen 1,2 Milliarden Menschen insgesamt drei Jahre eine makellose Bilanz ohne einen neuen Fall von Kinderlähmung aufweisen. Erst dann gilt das Land nach WHO-Kriterien als Polio-frei. So lange bleibt Indien weiter als endemisch eingestuft. In diese Kategorie fallen Länder, in denen die Krankheit immer wieder ausbricht, besonders bei Kindern unter fünf Jahren. Neben Indien gelten heute nur noch drei Länder als "Polio-endemisch": Pakistan, Afghanistan und Nigeria.

In manchen Ländern kommt der Virus wieder

In andere Länder, die bereits Polio-frei waren, werden die Viren wieder eingeschleppt. In den vergangenen zwei Jahren geschah dies in 23 Ländern. Angola, den Tschad und die Demokratische Republik Kongo traf es dabei besonders hart: In haben sich neue Übertragungsketten gebildet.

Sona Bari von der Globalen Initiative zur Ausrottung der Polio weiß, wo die Erreger ihren Ursprung hatten: "Im Tschad wurden die Erreger aus Nigeria eingeschleppt, in Angola und im Kongo kamen die Viren aus Indien." Im Zeitalter der Globalisierung überspringen die Erreger nationale Grenzen immer leichter.

Insgesamt aber zieht die WHO eine positive Bilanz im Kampf gegen die Kinderlähmung. Von 1988 bis heute sank die Zahl der Polio-endemischen Länder von 125 auf vier. Die Zahl der erfassten Neuerkrankungen ging im selben Zeitraum von 350.000 auf 1.350 zurück.

In den Industrieländern breitete sich eine Polio-Welle zuletzt zu Beginn der 50er Jahre aus: In den USA infizierten sich knapp 60.000 Menschen, Tausende starben, rund 20.000 Patienten erlitten Lähmungen. Auch die Bundesrepublik wurde in dieser Zeit von der Kinderlähmung massiv heimgesucht. Von fast 10.000 Betroffenen überlebten knapp 800 die Infektion nicht.

In Deutschland gab es Polio zuletzt vor 20 Jahren

Gegen die Viruskrankheit, die durch Aufnahme infizierter Speisen und Getränke übertragen wird, haben Experten bis heute keine Medizin gefunden. "Wir können die Kinderlähmung nicht heilen", erklärt Sabine Diedrich vom Robert-Koch-Institut in Berlin. Die Spezialistin betont aber die Wirksamkeit des Impfschutzes: "Alle Eltern sollten daran denken, ihre Kinder möglichst früh impfen zu lassen." Der weltweite Rückgang der Kinderlähmung sei auf die Impfungen zurückzuführen.

Allein in Deutschland sind mehr als 95 Prozent aller schulpflichtigen Kinder gegen Polio geimpft. Vor gut 20 Jahren schreckten zuletzt zwei Fälle von Polio die Bundesrepublik auf - die Viren hatten ihren Weg aus Afghanistan und Indien nach Deutschland gefunden.

Während in Deutschland und anderen wohlhabenden Nationen Polio-Impfungen zum medizinischen Standard gehören, gilt das nicht für Entwicklungsländer. "Denken sie an Länder wie Somalia, in denen Kriege und Not herrschen. Dort werden Kinder unzureichend geimpft", sagt Diedrich. Viele Jungen und Mädchen in armen Ländern sind somit schutzlos, wenn der Erreger eingeschleppt wird. Die WHO warnt deshalb: "Solange nur ein Kind mit dem Virus infiziert ist, besteht ein Ansteckungsrisiko für Kinder in allen anderen Ländern."

epd