Deutschlandfunk: Die Emanzipation eines Radiosenders

Deutschlandfunk: Die Emanzipation eines Radiosenders
Fünfzig Jahre Deutschlandfunk sind von Entwicklungen geprägt, die ausnahmsweise das Etikett "Mantel der Geschichte" verdienen. Die Historie des Programms lässt sich indes auch als gelungene Emanzipation eines Mediums deuten – vom politisch umkämpften Sender der Wiedervereinigung hin zu einer verlässlichen Instanz des digitalen Medienzeitalters.
30.12.2011
Von Ralf Siepmann

Er wolle keine "Buchsbaum-Fete haben, wo rechts und links so eine Pflanze steht und in der Mitte spricht der Intendant". So äußerte sich Willi Steul, Intendant des Deutschlandradios, gegenüber dem "Focus" über seine Vorstellungen zum 50-jährigen Bestehen des Deutschlandfunks. "Wir erleben rasante Veränderungen in der Mediennutzung", sagte der seit April 2009 amtierende Senderchef weiter. Daher sei es für den Sender "adäquat", sich öffentlich mit seiner Rolle in der Zukunft zu befassen. Dies tut man nun am 6. und 7. Januar im Kölner Funkhaus mit einem Kongress unter dem gestelzten Titel "Der Ort des Politischen in der digitalen Welt". Dächte Steul in Puncto "Fete" anders, wäre durchaus Lorbeer angemessen. Denn um zu feiern, gibt es wahrlich Gründe.

Wie alles begann

"Hier ist der Deutschlandfunk" – so meldete sich der Sender am 1.Januar 1962 erstmals on air, dessen Grundlagen durch Bundesgesetz 1960 geschaffen worden waren. "Zur Veranstaltung von Rundfunksendungen für Deutschland und das europäische Ausland", heißt es da, "wird eine gemeinnützige Anstalt des öffentlichen Rechts mit dem Namen 'Deutschlandfunk' errichtet. Die Sendungen sollen ein umfassendes Bild Deutschlands vermitteln." Der Programmauftrag zielte – mitten im Kalten Krieg - dezidiert auf die Menschen in der DDR, fußte auf "wahrheitsgetreue und sachliche" Berichterstattung. Gründungsintendant Hermann Franz Gerhard Starke stellte in einer kurzen Ansprache der Bevölkerung jenseits von Mauer und Stacheldraht "die entpolemisierte und entgiftete Wahrheit" in Aussicht.

Die Errichtung des "DLF" – das Senderlogo prangte viele Jahre am 1980 offiziell übergebenen neuen Funkhaus (siehe Foto) im Kölner Süden – und der Start des Programms zunächst über Mittel- und Langwellen markierten eine bedeutsame Zäsur in der Nachkriegsgeschichte des Rundfunks – eine erste Etappe der Emanzipation aus verworrenen und umkämpften Fehden, die sich Bund und Länder um die Dominanz in den elektronischen Medien geliefert hatten.

Damit endete, letztlich durch das Bundesverfassungsgericht, der Zugriff der Bundesregierung unter Konrad Adenauer auf die Macht im modernsten Medium, was unter dem Strich 1961 zur Gründung des ZDF als Anstalt aller Bundesländer führte. Natürlich war der "Kunstgriff" des Bundestages, den Deutschlandfunk als Sender der "Wiedervereinigung" mit der partiellen Ausrichtung auf "das europäische Ausland" rechtskonform zu legitimieren, durchsichtig.

In Wirklichkeit entwickelte sich ein Europaprogramm, das in rund einem Dutzend Sendesprachen von Italienisch, Französisch bis zu Polnisch und Rumänisch einen wichtigen Beitrag für die Vermittlung eines angemessenen Images unseres Landes außerhalb leistete. "Eine der wesentlichen Aufgaben eines nationalen Rundfunks", würdigte ihn der Publizist Alfred Grosser in einem Festvortrag zum 30-jährigen Bestehen des Deutschlandfunks, " ist nicht nur Informationen über Tatsachen zu vermitteln, sondern das Bild, welches man im Ausland von Deutschland hat, richtigzustellen." Schade dass dieses Kapitel der Gesamtwirkungsgeschichte 20 Jahre später ein Stück aus dem offiziellen Blickwinkel geraten ist.

Auch in Westdeutschland positionierte sich der DLF

Von den 1970er Jahren an spielte der Deutschlandfunk eine wichtiger werdende Rolle im westlichen Deutschland. Erstmals wurde das Programm auch via fünf UKW-Sender verbreitet, darunter im Raum der Bundeshauptstadt Bonn. Mehr und mehr wurde das Programm als Instanz eines umfassenden und glaubwürdigen deutsch-deutschen Blickwinkels geschätzt. Intendant Reinhard Appel, später Chefredakteur des ZDF, richtete in seiner Amtszeit (1973 - 1976) folgerichtig den Deutschlandfunk als Sender des "Dialogs" neu aus.

Mit Appel begann die Phase der Schärfung des informationellen Kerns, so mit der Verstetigung des Nachrichtenangebots und der Einführung der "Informationen am Morgen" (1974). Geradezu legendär die Politikerinterview "auf der Bettkante" (7.15 Uhr), die nicht selten die politische Agenda des Tages prägten. Der ehemalige ARD-Aktuell-Chefredakteur Edmund Gruber, 1988 zum Intendanten gewählt, trieb die Informationsmatrix im Funkhaus mit Verve voran. Er baute im selben Jahr das Vollprogramm light zum Vollprogram mit klarem Informationsprofil aus, so durch Umstellung auf einen halbstündigen Nachrichtenrhythmus, ließ jedoch der Kultur – zumal in den Abendstunden – hinreichend Sendeplätze. Information wurde zur Identität des Hauses. Ohne diese Innovationen wären neue Formate in der ARD wie B5 Aktuell des Bayrischen Rundfunks übrigens kaum zustande gekommen.

Mit der Wende kam das Deutschlandradio

Wenig später brach die DDR zusammen. Grubers Programmreform erwies sich in der Phase der Rundfunkneuordnung im sich zusammenfindenden Deutschland als Pfund. Als reiner "Wiedervereinigungssender" wäre der Deutschlandfunk ohne Chance auf Zukunft gewesen. Auftrag erledigt. Die Rolle Grubers, der 1992 als erster und bislang einziger Intendant in der ARD aufgrund seines Führungsstils und von Ungereimtheiten in seinem Wirtschaftsgebaren abgewählt wurde, wird heute in den offiziellen Sendeinformationen zum Jubiläum marginalisiert. Für die Zukunftssicherung dürfte sie gleichwohl unstreitig sein.

Mit der Gründung der Körperschaft Deutschlandradio 1994 durch Verbund von Deutschlandfunk, RIAS Berlin und DS-Kultur (aus dem ehemaligen DDR-Staatsrundfunk) auf Basis eines Staatsvertrages aller Länder ging gleichsam die zweite Etappe der Emanzipation des Kölner Senders zu Ende. Die ARD, die es wegen ihrer Hörfunkinteressen dem Radio aus Köln häufig schwer gemacht hatte, und das ZDF, das eigentlich immer auch Hörfunkanstalt für alle Länder sein wollte, waren nun in die Trägerkonstruktion eingebunden.

Der Deutschlandfunk, Kind der Politik, war in den ersten drei Jahrzehnten ein Spielball parteipolitischer Interessen - insbesondere in der späten Amtszeit des Intendanten Richard Becker (1976 – 1988) nach dem Regierungswechsel von Helmut Schmidt zu Helmut Kohl. In der jetzigen Konstellation gelang es dem Intendanten Ernst Elitz (1994-2009) und Verantwortlichen in den Aufsichtsgremien dauerhaft, den Sender aus der engen (partei-)politischen Anbindung zu lösen. Auch dies ein Stück notwendiger Emanzipation.

Zum 50. gibt es eine Neuausrichtung

1,6 Millionen Hörer schalten das Kölner Informationsprogramm mit einem Wortanteil von über 70 Prozent täglich ein. Seine Werbefreiheit ist für das Gros des Publikums ein Plus, spätestens mit dem Aufkommen der privaten Radiosender ein Mehrwert. Zusammen mit dem Berliner Programm Deutschlandradio Kultur und der 2010 gestarteten digitalen Innovation DRadioWissen bildet es ein starkes Stück Qualitätsradio – für Hörer in ganz Deutschland, die sich über das politische und kulturelle Geschehen bundesweit informieren wollen. Und dies für 39 Eurocent je Gebührenzahler und Monat.

Gleichwohl will sich Steul weder auf Buchsbaum noch auf Lorbeeren ausruhen. Mit dem Jubiläum hat er den drei Programmen eine "Neuausrichtung" verschrieben. "Strategie 2020" steht über dem Papier, mit dem er wenige Tage vor Weihnachten die Mitarbeiter über Veränderungen in allen Bereichen informierte. Ein Kernziel: die Ausrichtung an multimedialen Präsentations- und Erscheinungsformen. Zwar bespielt das Deutschlandradio seit längerem die gesamte digitale Klaviatur vom Livestream über die Website bis hin zum Podcast. Zwar sind die drei Programme ein Faktor von DAB plus. Doch steht mit der "Neuausrichtung" offenkundig auch die nächste Etappe der Emanzipation des Mediums an, der Transfer des klassischen Radios in die digitale Welt und seine zukunftsfeste Verankerung. So bleibt denn alles – wie vor 50 Jahren – auf Anfang. Oder in den Worten Steuls zum Jubiläum? "Entscheidend ist die Zukunft."


Ralf Siepmann arbeitet als freier Journalist in Bonn.