X-tausendmal quer: Japaner lernen vom Wendland

X-tausendmal quer: Japaner lernen vom Wendland
Das gab es in den vergangenen Jahrzehnten des Anti-Atom-Protestes im Wendland noch nie: Gut ein Dutzend Japaner, die meisten von ihnen Frauen und Kinder nebst eigenem Kamerateam, laufen mit kleinen gelben Protest-X-Kreuzen um den Hals durch Dannenberg und Gorleben. Die meisten von ihnen kommen aus der Präfektur Fukushima. Sie sind Opfer der dortigen Reaktorkatastrophe.
28.11.2011
Von Thomas Klatt

Auf Einladung von Greenpeace sind die Japaner hierher gekommen, um mit eigenen Augen zu sehen, wie in Deutschland der Protest gegen die Atomkraft organisiert wird. Etwas Ähnliches haben sie in Japan noch nie erlebt, dort steckt der Protest gegen Tepco & Co. noch in den Kinderschuhen. "Ich bin total beeindruckt von diesen vielfältigen Möglichkeiten des Nein-Sagens und Widerstehens. Die machen hier Musik, feiern friedlich während ihrer Blockaden. Wir sind da in Japan in unseren Ausdrucksmöglichkeiten sehr beschränkt. Japaner sind da ziemlich unrelaxed", sagt die 34jährige Kanako Nishikata.

Kanako Nishikata ist mit Tochter Fuu (9) und Sohn Kaito (11) aus der Nähe von Fukushima angereist, um sich die Initiativen rund um Gorleben anzuschauen. Foto: Thomas Klatt

Sie ist mit ihren beiden Kindern Kaito (11) und Fuu (9) nach Gorleben gekommen. Bis zur Katastrophe hat die allein erziehende Mutter 60 Kilometer vom Atomkraftwerk Fukushima entfernt gewohnt, dann wurde ihr Gebiet radioaktiv verseucht, sie mussten flüchten. Jetzt weiß die ehemalige Fabrikarbeiterin nicht genau, wie es weiter gehen soll. Am liebsten würde sie mit ihren Kindern aus Japan weg ziehen, aber sie weiß nicht wohin.

In Japan eine eigene Protestkultur aufbauen

"Wir haben kein Vertrauen mehr in die japanische Regierung. Wir vertrauen nicht den Messwerten und den Aussagen vom Kernkraftbetreiber Tepco. Wir denken auch, dass es bereits Einladungen anderer Staaten für die Opfer gibt, ähnlich den Programmen 'Kinder von Tschernobyl'. Nur die japanischen Politiker und Verwaltungsbeamten geben diese Einladungen an die Bevölkerung nicht weiter", vermutet Nishikata. Ihre Angst und Sorge hat sie auch auf der jetzigen Gorleben-Großdemo vor mehr als 30.000 Demonstranten zum Ausdruck gebracht.

Auch die japanische Biobäuerin Tatsuko Okawara spricht vor den deutschen AKW-Gegnern. Sie lebt 40 Kilometer vom havarierten japanischen AKW entfernt. Angeblich sei die Strahlendosis dort unter dem vermeintlich sicheren Grenzwert, daher musste sie ihren Biobauernhof nicht räumen. "Aber wir wissen nicht, ob die Messungen stimmen. Die Leute bekommen hier kein Gemüse zu kaufen, bei dem exakt gemessen wurde. Mein Ziel ist es, einen Bioladen zu eröffnen, damit Eltern ihren Kindern garantiert unbelastetes Gemüse und Obst aus weiter entfernten Landesteilen kaufen können", sagt die 57jährige, die selbst fünf Kinder hat.

Tatsuko Okawara ist Biobäuerin und würde ihren Kunden gern unbelastetes Gemüse verkaufen. Foto: Thomas Klatt

Ihre Eindrücke wollen sie mit in ihre Heimat nehmen, um dort eine eigene japanische Protestkultur gegen die Atomkraft mit aufbauen zu helfen. Immerhin sind die Medien längst nicht mehr so obrigkeitshörig wie die Bürger. Die Aufnahmen ihres Gorlebenbesuches werden zu Weihnachten im japanischen Fernsehen ausgestrahlt, verspricht die begleitende Producerin Setsuko Miura.

Fernsehstudio im Wohnzimmer

"Aber das ist nur ein Film. Es muss sich die Mentalität der Bevölkerung wandeln. Die allermeisten Japaner haben immer noch große Angst, mit ihrem Unmut auf die Straße zu gehen, weil sie Angst haben, dafür bestraft oder sogar inhaftiert zu werden. Der Protest und Unmut findet nur innerhalb der Menschen statt und wird nicht nach außen getragen. Das ist die dunkle Seite der japanischen Demokratie", sagt Kanako Nishikata.

Die japanische Delegation wohnt bei der grünen Bürgermeisterin Elke Mundhenk in Dannenberg. Die engagierte Baptistin hat immer ein offenes Haus. In jedem Jahr nimmt sie während der Castor-Transporte auswärtige Demonstranten als Schlafgäste auf, in diesem Jahr erstmals Japaner. Ständig kommen Journalisten und Kamerateams in ihr Haus, das Wohnzimmer wird zum improvisierten Fernsehstudio.

Immer wieder kommen auch Politiker, etwa die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms, zur Stippvisite vorbei, um wenigstens kurz mit den japanischen Fukushima-Opfern zu sprechen und ihre Unterstützung kund zu tun. Die ehrenamtliche Bürgermeisterin kommt kaum aus dem Haus, erst nachts fährt sie zum Verladebahnhof und beobachtet das Geschehen. "Ich erlebe das von Jahr zu Jahr. Das sind so unheimliche Momente, wenn hier der Beobachtungshubschrauber der Polizei in sternenklarer Nacht ohne Positionslichter fliegt. Wir hören ihn, aber sehen können wir ihn am Himmel nicht", berichtet die Mutter von vier Söhnen.

Messwerte werden unter Verschluss gehalten

Die Beschreibungen der japanischen Gäste über die Lässigkeit bis Fahrlässigkeit der Behörden kommt ihr nur zu bekannt vor. Selbst als Bürgermeisterin hat sie es nicht geschafft, dass nun der Landkreis mit eigenen Fachleuten unabhängige Messungen während des Transports am Verladebahnhof durchführen und veröffentlichen darf.

Elke Mundhenk ist Bürgermeisterin von Dannenberg. Bei ihr wohnen die Japaner, die dieses Jahr in Gorleben zu Gast sind. Foto: Thomas Klatt

Immerhin stehe dort der Transport am Ende bis zu zwölf Stunden am Rande eines Wohngebietes, bis alle Castoren auf Tieflader umgeladen sind. Aber auch am Ziel, dem Zwischenlager selbst, fehlen verlässliche öffentlich zugängliche Daten.

Mehrere Institutionen würden hier regelmäßig messen, weiß Elke Mundhenk, die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig, der TÜV Nord, das Gewerbeaufsichtsamt in Lüneburg. Alle diese Daten würde Greenpeace auch gerne erhalten, weil die Umweltschützer selbst immer nur Stichproben machen können. "Das niedersächsische Umweltministerium stellt die Messwerte nicht zur Verfügung. Die erklären ihre Ergebnisse zum geistigen Eigentum und damit zur geheimen Verschlusssache", moniert die Bürgermeisterin.

Auch dass von den gut 73 Millionen Euro für die Endlager-Suche letztlich nur drei Millionen für andere Standorte ausgegeben werden sollen, hält Mundhenk für eine klare Vorentscheidung für Gorleben als Endlagerstandort. Das Geld diene nicht der Erkundung, sondern schon dem Ausbau. Eine ergebnisoffene Suche und Debatte finde gar nicht mehr statt.  "Die Leute hier sind erschüttert und gehen deshalb auf die Straße, weil sie den Worten der Politiker nicht trauen. Der Castor-Protest wird noch lange weiter gehen", prophezeit die grüne Bürgermeisterin.


Thomas Klatt ist evangelischer Theologe und freier Journalist in Berlin.