Union: Das C als "zentrale Selbstverpflichtung"

Union: Das C als "zentrale Selbstverpflichtung"
Am Montag beginnt in Leipzig der mit Spannung erwartete CDU-Parteitag. Die Unionsparteien wollen im Zeitalter wachsende Herausforderungen verlässliche Orientierung bieten. Maßstab dafür soll das "C" für das Christliche im Parteinamen sein, sagt Thomas Rachel, Vorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) von CDU/CSU. Im Interview mit evangelisch.de spricht er unter anderem über seine Erwartungen an das Leipziger Treffen.
10.11.2011
Die Fragen stellte K.Rüdiger Durth

Die Kritik an der CDU wird immer lauter: Sie verrate zunehmend ihre Grundlagen, und viele ihrer Wähler wüssten nicht mehr, wofür die Partei noch stehe. Ist diese Kritik berechtigt?

Rachel: Man sollte bei dieser Kritik sehr genau hinschauen und keine trügerischen Pauschalurteile fällen. Wir leben in einer Zeit von zum Teil dramatischen Veränderungen und Wandlungen. Viele Bürger sind deshalb verunsichert. Die zentrale Aufgabe besteht darin, mit dem Kompass des "C" in Bezug auf die neuen Herausforderungen verlässliche Orientierung zu finden. Aber nicht nur die Politik hat sich verändert, sondern vor allem die Welt, unsere Gesellschaft und die Menschen selbst. Bestimmte Antworten, die noch vor 10, 20 oder 40 Jahren gegeben werden konnten, haben schlicht ihre Gültigkeit und Plausibilität eingebüßt. Als Christlich-Demokratische Union stehen wir – auf der Basis des christlichen Menschenbildes – für eine wertgebundene Politik mit Augenmaß, Mitte, aber ohne politisch-ideologische Scheuklappen.

Der Evangelische Arbeitskreis (EAK) ist so etwas wie das moralische Gewissen der Partei. Ist die CDU noch eine christliche Partei oder steht das C inzwischen für "Change", wie Spötter behaupten?

Rachel: Die CDU hat das "C" immer als zentrale Selbstverpflichtung und handlungsleitenden Orientierungsmaßstab verstanden. Insofern ist der Ausdruck "christliche Partei" nicht nur missverständlich, sondern falsch. Es ging nämlich schon zu Zeiten von Hermann Ehlers und Konrad Adenauer niemals um eine "christliche Politik", die es übrigens ebenso wenig geben kann wie einen "christlichen Staat", sondern es ging und geht um die konkrete politische Verantwortung von Christinnen und Christen. Die Frage, was für uns Christen in einer Welt des Wandels zu tun oder zu lassen ist, kann nur dann verantwortlich beantwortet werden, wenn wir uns immer wieder den konkreten Herausforderungen stellen und nicht falsche Andachtsbildchen von Anno Dazumal vor uns hertragen, die war beschaulich sein mögen, aber im Hier und Jetzt kein einziges Problem mehr lösen können.

Leidet auch der EAK unter dem programmatischen Bedeutungsverlust der Gesamtpartei?

Rachel: Diesen "programmatischen Bedeutungsverlust" gibt es in Wirklichkeit nicht. Insofern leidet der EAK darunter auch nicht. Über etwas anderes freue ich mich sogar in diesem Zusammenhang: Das "C" ist immer Kritik an jeder Form von Ideologie gewesen. Hermann Ehlers, der Gründer des EAK, sagte immer: "Das Kreuz durchkreuzt alles." Und ich erlebe derzeit – im Gegensatz zu manch früheren Zeiten der Partei- bzw. Parteiengeschichte – ein wohltuend neues Ringen um Sachfragen und in vielen Bereichen sogar eine segensvolle Ent-Ideologisierung von so manchen alten Kampfthemen.

Was unterscheidet die CDU von anderen Parteien im Deutschen Bundestag, wobei wir die Linke einmal außen vor lassen?

Rachel: Die CDU war niemals eine ideologische Kampf-, Klientel- oder Spartenpartei wie alle anderen Parteien im Deutschen Bundestag, sondern wie der Name "Union" bereits signalisiert, eine Partei des Ausgleichs und des Zusammenführend von vermeintlichen Gegensätzen. Die CDU ist eine Partei für das gesamte Volk, auf der Basis der universalen Wertgrundlagen, die sich für uns aus unserem christlichen Glauben heraus ergeben. Das gibt große freiheitliche Gestaltungsspielräume für eine auch pragmatische Politik zum Wohle aller Menschen und nicht bloß für eine bestimmte Interessen- oder Lobby-Gruppe. Der gewissermaßen unverzichtbare Bezugspunkt des Programmatischen der Union ist der Mensch selbst, so wie er geht und steht mit seiner von Gott unveräußerlichen Würde.

Was hat sich der EAK für den bevorstehenden Parteitag der CDU in Leipzig vorgenommen?

Thomas Rachel. Foto: Frank Ossenbrink

Rachel: Der EAK ist ja grundsätzlich eine thematische Plattform für alle evangelischen Mitglieder der Unionsparteien. Ungefähr ein Drittel der Delegierten auf dem CDU-Parteitag in Leipzig sind evangelisch, angefangen von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, die übrigens auch selbst einmal Bundesvorsitzende des EAK gewesen ist, bis hin zu Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble oder Bundesverteidigungsminister Dr. Thomas de Maiziere. Insofern gibt es hier bei vielen wichtigen Fragen ein durchaus breites Meinungs- und Diskussionsspektrum. Wie alle anderen großen Vereinigungen der Union bringt sich der EAK mit verschiedenen Anträgen ein, in diesem Jahr vorzugsweise zum Thema Bildung.

Bildung ist nicht nur der Schlüsselbegriff für die Zukunft des Landes, sondern auch für den Protestantismus. Wie definiert der EAK Bildung heute?

Rachel: Das kann man jetzt selbstverständlich hier nicht in zwei oder drei Sätzen abhandeln. Zentral ist aber doch aus EAK-Perspektive folgendes. Die Hoffnungsbotschaft des christlichen Glaubens hat unsere abendländische Kultur und Gesellschaft über viele Jahrhunderte tief und nachhaltig geprägt. Insbesondere unser geschichtliches und kulturelles Selbstverständnis in Deutschland wäre ohne unser christliches Erbe überhaupt nicht verständlich. Um der eigenen Identität und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung willen geht es darum, dass diese kulur-gestaltenden sittlichen und geistigen Kräfte immer wieder neu und fruchtbringend erschlossen werden können. Hierfür ist der Bereich der Bildung von zentraler Bedeutung – im Persönlichen wie im Gesamtgesellschaftlichen.

Welche bildungspolitischen Schwerpunkte hat sich der EAK gesetzt und kann er sie auch durchsetzen?

Rachel: Der EAK weist besonders auf die für uns tragende Bildungsperspektive hin. Da das christliche Bildungsverständnis in dem besonderen Teilhabeverhältnis des Menschen an der Wirklichkeit Gottes, der Gottesebenbildlichkeit, wurzelt, muss sich diese von Gott gewährte Teilhabe auch in den verschiedenen Bezügen dieser Welt in Gesellschaft, Politik, Kultur, Wissen, Ethik erweisen und bewähren. Deshalb kämpfen wir beispielsweise seit vielen Jahrzehnten für den Erhalt des Religionsunterrichtes und der Theologischen Fakultäten, wo immer auch andere politische Kräfte diese abschaffen oder relativieren wollen, Dies geschieht, wie Sie wissen, in den dafür zuständigen Ländern mal mit mehr und leider auch mal mit weniger Erfolg.

In den neuen Bundesländern stellt Ihre Partei drei Ministerpräsidenten und ist an zwei weiteren Landesregierungen beteiligt. Welche Bedeutung hat der EAK für die CDU in einer weithin säkularisierten Gesellschaft zwischen Elbe und Oder?

Rachel: Diese weithin säkularisierte Gesellschaft in den neuen Bundesländern ist auch – was viele vergessen oder Vergessen machen wollen – das Ergebnis zweier totalitärer und menschenverachtender und nicht zuletzt auch atheistischer Diktaturen im letzten Jahrhundert. Als EAK rufen wir stets in Erinnerung: Verantwortung vor den Menschen und Verantwortung vor Gott gehören in Politik und Gesellschaft im wohlverstandenen Sinne immer zusammen. Mit Christine Lieberknecht haben wir eine Ministerpräsidentin in Thüringen, die glaubwürdig als evangelische Christin Verantwortung in der Gesellschaft übernimmt.


Thomas Rachel (49) ist Politologe und Bundestagsmitglied der CDU. Seit 2005 ist er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Er leitet als Bundesvorsitzender seit 2003 den EAK. Rachel gehört der Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland und als stellvertretendes Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an. Außerdem ist er Mitglied in der EKD-Kammer für Bildung, Erziehung, Kinder und Jugend.

K. Rüdiger Durth, Journalist und Theologe, ist ständiger Mitarbeiter von evangelisch.de.